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Der freundliche Mr Crippen | Roman

Der freundliche Mr Crippen | Roman

Titel: Der freundliche Mr Crippen | Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Boyne
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genommen hatte, um ihm zu sagen, was er über Mr Robinson und seinen vermeintlichen Sohn herausgefunden hatte, seit Carter auf Kendalls Geheiß die Nachricht an Scotland Yard geschickt und die Herrschaften dort über dessen Verdacht informiert hatte, seitdem hatte Billy Carter mehr und mehr Zeit seines Arbeitstages im Funkraum verbracht, und auch einen nicht gerade kleinen Teil seiner Freizeit. Der Kapitän hatte ihm zwischendurch immer wieder klargemacht, dass niemand sonst etwas davon erfahren dürfe, nicht einmal einer der anderen Offiziere, und so waren entweder Kendall selbst oder der Erste Offizier ständig, zu jeder Tages- und Nachtzeit, in dieser Kabine zu finden, vor dem Marconi-Telegrafen sitzend und darauf wartend, dass er zum Leben erwachte und sein piepsendes Signal hören ließ. Die fortgesetzte Anwesenheit der beiden dort verwirrte die anderen Mannschaftsmitglieder zwar, aber sie waren zu gut trainiert, um Fragen zu stellen.
    Billy Carter mochte den Funkraum. Es war friedlich dort, und er war für sich, es war warm, ohne so stickig zu sein wie in seiner winzigen Kabine, die nicht mal ein eigenes Bullauge hatte. Kapitän Kendall hatte ihm untersagt, Mr Sorensons angestammten Schlafplatz zu benutzen. Carter konnte stundenlang im Funkraum sitzen, die Füße auf dem Tisch, und einen Kaffee trinken, ein Buch lesen oder einfach nur darüber sinnieren, wie das Leben zu Hause war und wie es sich ändern würde, wenn erst das Kind da war. Insgeheim dankte er Mr Robinson dafür, dass er seine Frau zerstückelt hatte. Es bedeutete, dass es keine Verzögerung geben würde, da die
Montrose
und die
Laurentic
sich noch vor Ende des Monats kurz vor der kanadischen Küste treffen sollten. Da es unbedingt wichtig war, den Zeitplan einzuhalten, würde er bereits am 3 . August sein Schiff zurück nach Europa und in die Arme seiner Familie besteigen können.
    Die erste Nachricht kam um achtzehn Uhr fünfzehn, und es war eine Antwort auf Kapitän Kendalls Funktelegramm, das dieser spät am Abend zuvor nach Antwerpen geschickt hatte. Carter empfing sie, schrieb sie stirnrunzelnd auf und fragte sich, wie er dem alten Mann die Neuigkeiten beibringen sollte. Er lief auf und ab, versuchte, sich Kendalls wahrscheinliche Reaktion auszumalen, und wollte gerade los, um ihm die Nachricht zu überbringen, als die Tür aufging und der Kapitän den Funkraum betrat.
    »Mr Carter«, dröhnte er. »Wieder ohne Mütze. Ich denke doch, ich habe Ihnen erklärt …«
    »Aber doch nicht hier drinnen«, protestierte der jüngere Mann. »Schließlich gibt es hier keine Passagiere, die es bemerken könnten.«
    Kendall hob eine Braue. Sie waren alle gleich, diese jungen Leute. Immer eine schnoddrige Bemerkung auf den Lippen, eine leichte Ausflucht. Niemals taten sie das, was man ihnen sagte, das wäre viel zu einfach. »Kommando zurück«, seufzte er, weil er den Punkt nicht länger verfolgen wollte.
    »Übrigens, Käpt’n, ich wollte gerade zu Ihnen«, sagte Carter und biss sich nervös auf die Lippe.
    »Ja?«
    »Gerade eben kam eine Nachricht.«
    »Und? Was sagen sie?«, fragte er und sah seinen Ersten Offizier argwöhnisch an. Was war bloß los mit dem Kerl? Hüpfte wie ein Känguru mit Verdauungsstörungen von einem Fuß auf den anderen. »Sollen wir ihn einsperren?«
    »Wen einsperren?«
    »Wen?
Wen?
Sind Sie verblödet, Mann? Was glauben Sie denn? Jimmy, den Schiffsjungen? Crippen natürlich! Sie haben gesagt, wir sollen fürs Erste nichts unternehmen, um keine Panik auszulösen, aber was ist geschehen? Haben sie ihre Meinung geändert?«
    Carter schüttelte den Kopf. Er begriff, dass der Kapitän beim falschen Thema war. »Nein, Sir«, sagte er. »Es geht nicht um Mr Robinson, Sir. Sondern um Mr Sorenson.«
    Kendall schnappte nach Luft und erstarrte. Er sah so erschrocken aus wie ein großer Schauspieler, dem seine Zeilen abhandengekommen waren und der feststellen musste, dass er sonst nichts zu sagen hatte. »Mr Sorenson?«, fragte er atemlos. »Was ist mit ihm?«
    »Es ist eine Antwort auf Ihr Funktelegramm von gestern Abend, Sir«, sagte Carter, »in dem Sie sich nach seinem Zustand erkundigt haben.«
    »Nun lesen Sie schon vor, Mann«, fuhr Kendall ihn an und wusste kaum die Fassung zu bewahren.
    »Sorenson in kritischem Zustand«,
las er.
»Unerwartete Komplikationen. Die nächsten Tage entscheidend für Erholung. Im Moment im Koma, aber Doktor hoffnungsvoll.«
    Er sah den Kapitän nervös an.
    »Weiter«, sagte Kendall mit

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