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Der freundliche Mr Crippen | Roman

Der freundliche Mr Crippen | Roman

Titel: Der freundliche Mr Crippen | Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Boyne
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ich möglichst bald mit Kapitän Kendall in Kontakt treten. Wie weit ist er noch entfernt?«
    Caroux sah in eine Mappe auf seinem Tisch und fuhr mit dem Finger eine Zahlenkolonne entlang. »Weniger als vierundzwanzig Stunden. Es ist jetzt vier Uhr nachmittags. Die
Montrose
wird morgen Nachmittag um drei einlaufen.«
    »Verstehe«, sagte Dew. »Nun, ich muss Kapitän Kendall sofort telegrafieren.«
    »Selbstverständlich.«
    »Ich muss ihm sagen, dass er sein Schiff morgen Mittag um zwölf stoppen soll, drei Stunden vor seiner Ankunft in Quebec.«
    »Stoppen?«, fragte Caroux argwöhnisch.
    »Ich werde dem Schiff entgegenfahren und Crippen verhaften, bevor er kanadischen Boden betritt. Ich brauche ein Boot und einen Seemann, der mich hinbringt.«
    Inspecteur Caroux runzelte die Stirn. »Das ist keine gute Idee«, sagte er. »Ich habe schon einige Zeitungen alarmiert. Die Fotografen kommen morgen Nachmittag, um den großen Moment einzufangen. Es ist das Beste, sie verhaften ihn auf kanadischem Boden.«
    »Das ist kein öffentliches Spektakel, Inspecteur«, sagte Dew gereizt. »Der arme Mann muss hier keine Zirkusnummer abgeben, ganz gleich, was er getan hat. Nein, ich fahre zur
Montrose,
verhafte ihn und komme dann mit ihm her. Hier wird er sofort in Ihr Gefängnis gebracht, wo er bis zum 3 . August bleibt, wenn, wie ich glaube, das nächste Schiff nach England ablegt.«
    Enttäuscht, aber nicht in der Position, seinen Willen durchzusetzen, nickte Caroux, schrieb Dews Anweisungen auf ein Blatt Papier und gab es einem seiner Beamten, der sich um alles Nötige kümmern sollte.
    »Machen Sie sich keine Sorgen, Inspecteur«, sagte Dew, dem die Enttäuschung seines Gegenübers bewusst war. »Die Fotografen werden ihre Bilder schon bekommen. Sagen Sie ihnen, sie sollen sich bereithalten, wenn ich Dr. Crippen morgen Nachmittag in Handschellen vom Schiff bringe. Dann bekommen sie ihre Titelgeschichte.«
    »Sie haben ihn schon einmal getroffen, richtig?«, fragte Caroux. »Diesen
Dr.
Crippen?« Er betonte den Titel, als nehme er ihm den keinesfalls ab.
    »Zwei Mal«, gab Dew zu.
    »Ohne ihn jedoch zu verhaften?«
    »Ich habe nicht geglaubt, dass er ein Verbrechen begangen hatte.«
    »Aha. Aber Sie waren es, der die Leiche gefunden hat?«
    Dew seufzte. »Ich ging noch einmal hin, um ein paar letzte Fragen zu klären, und musste feststellen, dass Dr. Crippen und Miss LeNeve ausgeflogen waren. Bei der Suche nach ihnen bin ich auf sie gestoßen. Um die Wahrheit zu sagen, er wäre davongekommen, wenn sie nicht geflohen wären. Er muss gedacht haben, dass ich etwas wusste.«
    »Aber dem war nicht so.«
    »Nein«, gab er zu, ohne in Verlegenheit zu geraten. »Ich hatte keinerlei Verdacht.«
    »Das sollten Sie ihm auf jeden Fall sagen«, lachte Caroux. »Da stirbt er vor Lachen, der arme Narr. Wie fanden Sie ihn sonst so?«
    »Wie ich ihn gefunden habe?«
    »Vom Charakter her. Was hielten Sie von ihm, als Sie ihn getroffen haben?«
    Inspector Dew überlegte. Trotz all der Fragen, die er seit dem Auffinden der unschönen Überbleibsel Cora Crippens beantwortet hatte, für seine persönliche Meinung zum Charakter des Mannes hatte sich noch niemand interessiert, weder seine Vorgesetzten bei Scotland Yard noch all die Nachrichtenreporter und auch nicht die neugierigen Passagiere an Bord der
Laurentic.
Sie alle hatten nur die grausigen Einzelheiten gewollt, den Stoff für Albträume. »Er kam mir sehr angenehm und sanft vor«, sagte er, »gebildet, freundlich, höflich. Ehrlich gesagt, dachte ich, er könnte keiner Fliege etwas zuleide tun.«

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    18  Das Leben nach Cora
    London, Paris, Antwerpen: 1 . Februar bis 20 . Juli 1910
    1.  FEBRUAR
    Hawley schlief nach dem schrecklichen Kartenabend mit Mr und Mrs Smythson bis spät in den Morgen hinein, aber er wachte nicht in seinem Bett auf.
    Nach Coras hysterischem Anfall und nachdem sie ihn aus dem Haus geworfen hatte, war er eine Stunde lang durch die Straßen geirrt, ohne zu wissen, was er tun und wohin er sich wenden sollte. Er hatte Angst, wieder nach Hause zu gehen, weil er mit weiteren Tätlichkeiten rechnete. Dass es leicht nieselte, schien er nicht zu spüren, obwohl Cora ihn ohne Mantel, Hut oder einen Schirm vor die Tür gesetzt hatte. Er lief durch die Straßen und Gassen West-Londons, achtete nicht auf die Obdachlosen, die Prostituierten und die Blumenmädchen, die ihre Sträuße zusammenpackten, machte einen Bogen um alle Pubs, da er nicht wusste, was Alkohol jetzt

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