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Der freundliche Mr Crippen | Roman

Der freundliche Mr Crippen | Roman

Titel: Der freundliche Mr Crippen | Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Boyne
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niemals erlauben, gemeinsam eine Kabine an Bord eines Schiffes zu bewohnen. Das heißt, als Paar würden wir von allen gemieden und ausgesondert, was ein schrecklicher Anfang für unser neues Leben wäre. Als Vater und Sohn haben wir, mit Ausnahme des gestrigen Abends, unsere Reise bisher jedoch sehr genossen. Ich weiß, es ist eine aufwendige Maskerade, aber sie hat durchaus auch etwas Aufregendes, und es ist ja bald vorbei. Sobald wir in Kanada sind, werden wir niemandem mehr etwas vormachen müssen. Da können wir wieder wir selbst sein.«
    Matthieu Zéla nickte bedächtig. »Ich nehme an, Sie wissen, was Sie tun«, sagte er zweifelnd. »Es scheint mir ein schrecklicher Aufwand, nur, um ein paar Moralaposteln zu entgehen. Wenn Sie es allerdings für nötig halten, will ich Sie dafür nicht kritisieren. Glauben Sie mir, auch ich habe zu meiner Zeit aus Liebe merkwürdige Dinge getan, und ich habe dafür bezahlt.«
    »Sie werden uns also nicht verraten?«, fragte Mr Robinson hoffnungsvoll.
    Matthieu schüttelte den Kopf. »Ihr Geheimnis ist bei mir sicher«, sagte er. »Sie haben mein Wort darauf.«
    Mr Robinson stand lächelnd auf und schüttelte seinem Gastgeber dankbar die Hand. »Im Lichte der jüngsten Ereignisse haben wir beschlossen, die letzten Tage an Bord in unserer Kabine zu bleiben«, sagte er. »Also werden wir uns wohl nicht mehr so oft sehen. Im Übrigen denke ich, ist es das Beste, wenn Sie Ihren Neffen von meiner lieben Verlobten fernhalten, ehe es noch mehr Ärger gibt.«
    »Sicher«, sagte Matthieu. »Da stimme ich Ihnen völlig zu.« Er öffnete die Tür, und die beiden Männer schüttelten sich ein weiteres Mal die Hand. »Ich wünsche Ihnen alles Gute, Mr Robinson«, sagte Matthieu. »Wirklich. Aber denken Sie daran: Was die Gesellschaft über Sie denkt, ist nichts im Vergleich zu Ihrer eigenen Selbstachtung. Seien Sie in Kanada wieder Sie selbst und genießen Sie das Leben als Sie selbst. Was hat das alles sonst für einen Sinn?«
    »Ich versichere Ihnen, Matthieu«, sagte der andere mit einem breiten Lächeln, »dass wir genau das vorhaben. Unser Leben fängt gerade erst an. Vor uns liegen wunderbare Zeiten.«
     
    Ethel LeNeve stieg über eine Taurolle und verschwand hinter einem Rettungsboot, wo sie vor ein paar Tagen eine abgeschiedene Stelle entdeckt hatte. In ihrer Vorstellung war sie in diesem Moment weder sie selbst noch Edmund, sondern Dr. James Middleton, die Person, in die sie sich verwandelt hatte, um das Gift zu kaufen. Nervös ließ sie den Blick schweifen, doch hier hinter dem Boot konnte sie niemand sehen.
    Sie hielt die Hutschachtel vor sich hin und schüttelte sie vorsichtig. Cora Crippens Kopf, sorgfältig in Zeitungspapier gewickelt, bewegte sich darin hin und her. Ethels Hände zitterten ein wenig, als sie die Hutschachtel übers Wasser hielt. In letzter Minute hatte sie sich entschieden, den Kopf nicht ebenfalls zu zerteilen und mit dem Rest des hässlichen Körpers zu vergraben. Sie hatte gedacht, sollte Cora je entdeckt werden, könnte der Umstand, dass der Kopf fehlte, dazu führen, dass sie niemals einwandfrei identifiziert werden würde. Natürlich hatte sie den Kopf nicht so einfach irgendwo in London verstecken können, und der Themse traute sie nicht, sie hätte ihn vielleicht irgendwo ans Ufer spülen können. Also war er mit ihr nach Antwerpen gekommen, und sie hatte beschlossen, ihn im Meer zu versenken, im dunklen Wasser des Atlantischen Ozeans, auf dessen Grund er sinken würde, um nie wieder aufzutauchen.
    Sie zwang die Hände auseinander und ließ die Schachtel mit einem leisen Aufschrei fallen, schnappte nach Luft, als sie aufs Wasser schlug und dort ein Weile trieb, auf den Wellen tanzend, bevor sie langsam unter die Oberfläche sank und unsichtbar wurde.
    »Möge Gott mir vergeben«, flüsterte Ethel und wandte den Blick vom Ozean zu den Wolken hinauf, als flehte sie den Himmel selbst an. »Die Liebe lässt einen die unverzeihlichsten Dinge tun.«
     
    Inspector Dew stand mit offenem Mund am Bug der
Laurentic
und starrte ungläubig auf die Szenerie vor sich. Er schüttelte den Kopf, spürte sein Herz in der Brust schneller schlagen und fragte sich, was er da vom Zaun gebrochen hatte. Der Hafen von Quebec war voller Menschen, lautstarker Jubel stieg von ihnen auf und wehte übers Wasser zu ihm herüber. Es waren Tausende, so weit das Auge reichte, und die Farben ihrer Kleidung spannten einen Regenbogen durch den Hafen.
    »Das ist zu viel«, sagte er

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