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Der freundliche Mr Crippen | Roman

Der freundliche Mr Crippen | Roman

Titel: Der freundliche Mr Crippen | Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Boyne
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drängte ihn, sitzen zu bleiben. »Sie haben meine Frage immer noch nicht beantwortet.«
    »Welche Frage?«
    »Warum Sie den Kapitän nicht informiert sehen wollen und auch Mrs Drake nichts gesagt haben. Über Tom, meine ich.«
    Mr Robinson zuckte mit den Schultern. »Ich habe Ihnen doch geantwortet«, sagte er. »Ich hielt es für das Beste, mit Ihnen zu sprechen und Ihnen alles Weitere zu überlassen, als Vormund des …«
    »Ja, aber ich glaube Ihnen kein Wort«, sagte Matthieu. »Ich glaube, Sie haben Ihre eigenen Gründe, um sich nicht tiefer in die Sache verwickeln zu lassen. Vielleicht hat es damit zu tun, dass Sie es sich nicht erlauben können, in eine verletzliche Position zu geraten.«
    »Matthieu, ich weiß nicht, worauf Sie hinauswollen …«
    »Darf ich Sie etwas fragen, John?«, sagte Monsieur Zéla nachdenklich. Sein Gegenüber nickte. »Warum sollte ein Mann in Begleitung einer jungen Frau von Antwerpen nach Kanada reisen und sie als Jungen verkleiden, damit er sie als seinen Sohn ausgeben kann? Was könnte ein mögliches Motiv dafür sein?«
    Mr Robinson fühlte, wie ihm das Blut aus den sonnenverbrannten Wangen wich. Er starrte Matthieu Zéla erschrocken an. »Sie wissen Bescheid?«, fragte er.
    »Ich bin ein aufmerksamer Mensch, wie ich zugeben muss. Ich wusste es vom allerersten Moment an.«
    »Aber Sie haben niemandem etwas gesagt?«
    Matthieu schüttelte den Kopf. »Nein«, sagte er, »es geht mich schließlich nichts an. Ich bin nur verwirrt, und das mag ich nicht. Was ist der Sinn dahinter? Was gewinnen Sie durch diese Maskerade?«
    Mr Robinson sah ihn an und beschloss, reinen Tisch zu machen. Er hatte Monsieur Zéla von Beginn an als einen ehrbaren Mann kennengelernt, der keinerlei Interesse daran hatte, sich unnötig in das Privatleben anderer einzumischen. Wenn es jemanden gab, dem er sich anvertrauen konnte, dann ihm. Und wo sie Kanada so nahe waren, warum sollte er da nicht endlich die Wahrheit sagen?
    »Sie müssen mir versprechen, dass das, was ich Ihnen jetzt sage, unter uns bleibt«, begann er.
    »Ich bin kein Klatschweib, John.«
    »Dann werde ich Ihnen die Wahrheit sagen, und urteilen Sie darüber, wie Sie wollen. Edmund ist weder mein Sohn noch ein Junge. Er ist eine junge Frau, die ich möglichst bald zu heiraten gedenke.«
    »Aha«, sagte Matthieu, dem der romantische Aspekt gefiel. »Erzählen Sie weiter.«
    »Ich war in London verheiratet«, fuhr Mr Robinson fort, »mit einer äußerst unangenehmen Frau. Wir haben viele Jahre zusammengelebt, und sie hat mir das Leben, offen gesagt, zur Hölle gemacht. Sie war mir zahllose Male untreu, manchmal mit jungen Männern, die gerade erst den kurzen Hosen entwachsen waren, so verdreht war sie. Darüber hinaus war sie ausfallend, respektlos und hatte ein übles Naturell. Manchmal habe ich ernsthaft gedacht, unsere Ehe würde damit enden, dass ich sie umbrächte. Ich übertreibe nicht oder schildere das zu dramatisch. Ich glaube tatsächlich, dass es möglich gewesen wäre.«
    »Das bezweifle ich keinen Moment. Mir ist bewusst, wie sehr eine Ehe danebengehen kann, John«, sagte Matthieu. »Ich war selbst mehrfach verheiratet. Einmal hätte ich fast mit dem Leben dafür bezahlt, weil ein anderer kam und behauptete, der Mann meiner Frau zu sein. Sie hatte vergessen, sich von ihm scheiden zu lassen, das kleine Biest, und er wollte mich umbringen.«
    »Das habe ich nicht vor: Sie müssen wissen, dass mich meine Frau vor Kurzem wegen eines anderen Mannes verlassen hat und ich mich selbst in die junge Frau verliebt habe, die Sie als Edmund Robinson kennen. Zu meiner Überraschung hat sie sich auch in mich verliebt und mir versichert, sie würde alles für mich tun und ihr Leben dafür geben, mich glücklich zu machen. Nun, ich muss zugeben, so eine Hingabe habe ich noch nicht erlebt, und ich glaube, ich kann zum ersten Mal in meinem Leben glücklich werden. Als meine Frau mich verlassen hat, haben wir beschlossen, uns zueinander zu bekennen, und nun fahren wir nach Kanada, um dort ein neues Leben zu beginnen. Natürlich muss ich erst offiziell von meiner Frau geschieden werden, was einige Monate in Anspruch nehmen wird, aber bis dahin wollten wir nicht getrennt voneinander sein.«
    »Aber warum sie verkleiden? Warum so tun, als wäre sie ein Junge?«
    »Monsieur Zéla, ich weiß nicht, wie vertraut Sie mit der Gesellschaft sind, aus der ich stamme, aber deren Konventionen würden es einem Mann und einer Frau, die nicht verheiratet sind,

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