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Der freundliche Mr Crippen | Roman

Der freundliche Mr Crippen | Roman

Titel: Der freundliche Mr Crippen | Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Boyne
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erzählte.
    »Du bist nicht der Mann, den ich geheiratet habe«, rief Jezebel voller Abscheu und holte den Wischeimer aus der Küche, da die blutunterlaufenen Augen und der unruhige Gesichtsausdruck ihres Gatten darauf hindeuteten, dass er bald schon seinen Magen auf den Wohnzimmerboden entleeren würde. »Um diese Zeit in solch einem Zustand nach Hause zu kommen, und das vor unserem Hawley. Was hast du alles getrunken? Whisky? Bier? Sag es mir, Samuel.«
    »Gottes glorreichen Alkohol«, antwortete der mit leiernder Stimme, rülpste lautstark, machte ein erstauntes Gesicht und fiel bewusstlos zu Boden.
    »Ich danke Dir, Herr«, intonierte Hawley fromm, wie er es gelernt hatte.
    Es war Jezebels Idee, ihren Sohn aus der Dorfschule zu nehmen und ihn zu Hause zu unterrichten. Hawley hatte nichts dagegen. In der Schule wurde er aufgezogen, weil er so dunkle, förmliche Sachen trug, die ihn wie Oliver Twist in der Lehre beim Bestatter Sowerberry aussehen ließen, und seine zarten Züge brachten einige der Jungen dazu, zu behaupten, dass er keiner von ihnen, sondern ein lausiges Mädchen sei. Untersuchungen bewiesen das Gegenteil, worauf sich der Junge noch gedemütigter und verachteter vorkam.
    »Fangen wir mit dem Studium der Bibel an«, erklärte Jezebel am ersten Morgen seines Heimunterrichts. »Und dann, vor dem zweiten Teil unserer Bibelstudien, wirst du richtig lesen lernen, was wir mit dem Buch der Psalmen üben. Nach einer inneren Einkehr zu den Geheimnissen des Kreuzes beenden wir den Unterricht schließlich mit einigen seelenbildenden Bibelstudien.« Als er neun war, vermochte Hawley alle einhundertfünfzig Psalmen in der richtigen Reihenfolge aufzusagen, und er kannte die genaue Ahnenreihe von Adam bis Jesus Christus. Niemand hatte irgendwen gezeugt, ohne dass Hawley mit dabei gewesen wäre. Jezebel machte einen Partytrick daraus, für Weihnachten, wenn die Crippens und die Quirks bei Gerstenwasser und trockenem Kuchen im Wohnzimmer zusammensaßen.
    »Wer zeugte Enosch, Hawley?«, sagte sie, einen Namen aus ihrem Gedächtnis wählend, und der Junge zog die Stirn kraus und arbeitete sich durch die Schöpfungsgeschichte.
    »Set«, sagte er.
    »Richtig! Und wer zeugte Metuschelach?«
    Hawley dachte wieder nach. »Henoch«, sagte er.
    »Ganz sicher tat er das, das schmutzige Scheusal. Und Nimrod?«
    »Kusch«, sagte Hawley triumphierend.
    »Genau, es war Kusch! Und Nimrod war ein gewaltiger Jäger vor dem Herrn, und am Beginn seines Königreiches standen Babel und Erech und Akkad und Kalne im Land Schina«, fuhr sie freudig fort, klatschte mit orgiastischer Wonne in die Hände, und in ihren eingefallenen Augen blitzte das verrückte Feuer des religiösen Eifers.
    Für eine Frau, die es nicht ertrug, von ihrem Mann angefasst zu werden, war Jezebel in Samuels Augen merkwürdig besessen vom Zeugungsakt. Zudem wünschte er seinem Sohn, ein aktiveres Leben außerhalb des Hauses zu haben, und war sicher, dass der Junge einige der klassischen Kindheitsfreuden verpasste.
    »Er verpasst etwas?«, fragte Jezebel und lachte über die Geistesschwäche ihres Mannes. »Du denkst, der Junge verpasst etwas? Wie absolut lächerlich! Pass auf, du dummer Mann. Hawley: ›Denn es verdross mich der Ruhmredigen, da ich sah, dass es den Gottlosen so wohl ging.‹«
    »›Denn sie sind in keiner Gefahr des Todes‹«, antwortete Hawley von seinem Platz am Wohnzimmerfenster, von dem er sinnierend zum Himmel hinaufsah. Er bewegte die Augen langsam von links nach rechts, als läse er die Worte geradewegs von den Wolken ab. »›Sondern stehen fest wie ein Palast.‹«
    »Psalm Nummer?«
    »Dreiundsiebzig, Mutter.«
    »Die Verse?«
    »Zwei und drei.«
    Jezebel sah ihren Mann triumphierend an. Ihre gelblichen Zähne drängten durch die Lippen, als sie versuchte, ihre aufsteigenden Gefühle zu kontrollieren. »Samuel Crippen«, verkündete sie, »dein Sohn ist ein Wunderkind.«
    Die frühen Jugendjahre brachten zusätzliche Unbill in Hawleys Leben. Um seinen dreizehnten Geburtstag herum befiel ihn eine plötzlich aufflammende Akne, begleitet von einer fast schon krankhaft starken Bettnässerei, was im Hause der Crippens Fassungslosigkeit hervorrief. Der Junge wachte jeden Morgen um fünf Uhr auf, das Bett durchtränkt infolge exotischer Träume. So lag er da und fürchtete sich vor dem Tagesanbruch und dem Moment, da seine Mutter erschien, ob des in der Luft hängenden Geruchs die Nase hob, ihn einen bösen Jungen, schlimmer als ein Baby, nannte

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