Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der freundliche Mr Crippen | Roman

Der freundliche Mr Crippen | Roman

Titel: Der freundliche Mr Crippen | Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Boyne
Vom Netzwerk:
Männer. Scheint ein angenehmer Tag auf See zu werden. Das Meer ist recht ruhig.«
    »Ich möchte mich nur etwas hinlegen«, sagte Mr Robinson und drängte an ihm vorbei. »Bitte entschuldigen Sie, wenn ich …«
    »Kein Problem, Sir«, sagte Carter und machte ihm Platz. »Sie spüren es ein bisschen, wie? Machen Sie sich keine Sorgen, Sie kommen bald schon darüber weg. Das tun alle. Und Sie, junger Mann? Waren Sie schon mal auf See?«
    »Nur ein Mal«, sagte Edmund. »Es war eine kürzere Fahrt. So lange wie diesmal noch nie.«
    »Als ich in Ihrem Alter war, hatte ich schon zwei, drei Jahre auf See auf dem Buckel. Konnte nicht genug davon kriegen. Am Anfang war mir allerdings hundeelend, also machen Sie sich nichts draus. Es geht vorbei.«
    »Ich denke, ich komme zurecht«, sagte Edmund und fühlte sich merkwürdig bevormundet.
    »So ist’s recht.«
    Mr Robinson drehte den Schlüssel in der Tür und trat in die Kabine. Er schloss kurz die Augen und genoss die Stille und den Frieden, die dort drinnen auf ihn warteten. Er drehte sich um, um Edmund notfalls in scharfem Ton hereinzurufen, aber der junge Seemann verschwand bereits aus dem Blick, und sein Begleiter betrat die Kabine.
    »Endlich …«, sagte Mr Robinson mit erschöpfter Stimme. »Meinst du, alle hier an Bord sind entschlossen, mit uns zu reden? Diese Leute oben an Deck, der Seemann.«
    »Das war der Erste Offizier«, sagte Edmund leicht abwesend und sah noch einmal auf den Gang hinaus, bevor er die Tür schloss. »Wir sollten uns geehrt fühlen.«
    Mr Robinson schnaufte. »Unsinn«, sagte er gereizt, nahm den Hut ab, hängte ihn auf den Haken an der Wand und starrte durch das Bullauge aufs Meer hinaus. Seine Kopfschmerzen wurden stärker. Er massierte sich die Schläfen, schloss die Augen und spürte die Anspannung und die Angst, entlarvt zu werden. Da trat Edmund hinter ihn, legte ihm die Arme um die Brust und schmiegte sich an ihn. Mr Robinson wandte sich dankbar zu ihm um.
    »Ist es zu schwer für dich?«, fragte er, trat ein Stück zurück und betrachtete den Aufzug des Jungen, den sie tags zuvor in Antwerpen gekauft hatten. »Findest du, ich habe dich zu einer Posse überredet?«
    »Im Gegenteil«, sagte Edmund, öffnete seine Jacke und löste den eng gebundenen Stoff darunter. »Es macht Spaß, wirklich. Es ist ziemlich gewagt, so zu tun, als wäre man etwas, was man nicht ist.«
    »Für mich nicht. Glaubst du, wir kommen damit durch?«
    »Du musst dich entspannen«, sagte Edmund, knöpfte Mr Robinson das Jackett auf und ließ es zu Boden fallen. »Alles wird gut gehen. Da bin ich sicher.« Er beugte sich vor, ihre Lippen trafen sich, zart zuerst, dann mit mehr Kraft, und die Körper pressten sich gegeneinander, während sie unbeholfen auf das untere Bett glitten.
    »Mein Ein und Alles«, sagte Mr Robinson zwischen den Küssen, und die Leidenschaft schien ihm den Atem und das Bewusstsein zu nehmen.

[zurück]
    2  Jugend
    Michigan: 1862 bis 1883
    Als Mr Josiah Crippen und seine Frau Dolores die Heiligkreuzkirche in Ann Arbor, Michigan, betraten, um der Vermählung ihres Sohnes Samuel mit Jezebel Quirk, seiner Cousine zweiten Grades, beizuwohnen, waren sie in sehr unterschiedlicher Verfassung. Josiah lächelte während der gesamten Zeremonie, war er doch völlig betrunken, und Dolores zog einen solchen Schmollmund, dass ihre Lippen am Ende fast taub waren, so empört war sie, dass ihr teurer Junge einer anderen Frau und nicht ihr ewige Treue schwor. Sie hatte ihn dazu erzogen, seine Mutter anzubeten und zu verehren, wodurch sie jedoch nur erreicht hatte (ohne dass es ihr bewusst geworden wäre), dass er sie wegen ihrer Kälte verachtete. In seiner Braut dagegen hatte er ein liebevolles, schönes Mädchen gefunden, das ihm nach einem Jahr einen Sohn schenkte, den sie Hawley Harvey Crippen nannten.
    Das Jahr zwischen ihrer Heirat und der Geburt war das einzige glückliche Jahr im gemeinsamen Leben der Crippens, denn als das Kind da war, änderte sich Jezebels Art von Grund auf. Sie verlor sämtliche Lebenslust und wurde regelrecht puritanisch. Hatte sie es früher genossen, mit Samuel tanzen zu gehen, betrachtete sie solche Abende nun als unziemlich und zügellos. Hatte sie früher gerne ihre Nachbarn, die Tennetts, zum abendlichen Kartenspiel eingeladen, so hielt sie derlei Unterhaltungen jetzt für unmoralisch und brach die Beziehung zu dem im Übrigen harmlosen Paar ab. Nachdem sie bis zur Geburt keinerlei moralischen Eifer bewiesen

Weitere Kostenlose Bücher