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Der freundliche Mr Crippen | Roman

Der freundliche Mr Crippen | Roman

Titel: Der freundliche Mr Crippen | Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Boyne
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hatte, stellte Jezebel Crippen danach fest, dass die Schwangerschaft ihr nicht nur ein Kind, sondern auch einen neuen besten Freund beschert hatte: Jesus. Und Er mochte es nicht, dass sie sich amüsierte.
    Hawley war von Beginn an ein ruhiges Kind. Er hatte keine Brüder oder Schwestern, war doch seine Geburt so anstrengend und schmerzvoll gewesen, mit Wehen, die nicht aufhören wollten, dass Jezebel anschließend ihren eigenen Namen verriet und ihrem Mann sogar verwehrte, in einem Bett mit ihr zu schlafen, von einem möglichen Liebesakt ganz zu schweigen.
    »Du hast mich oft genug geschändet, Samuel Crippen«, sagte sie während der ersten Monate, als er noch glaubte, er könnte sie, wenn er es nur geschickt genug anstellte, dazu bringen, ihre Meinung zu ändern, so wie sein Vater es vor ihm geglaubt hatte, als er die Verteidigungslinien von Dolores Hartford durchbrochen hatte. »Ich werde niemals wieder einem Mann erlauben, mich in dieser schmutzigen Weise anzufassen.«
    »Aber, meine Liebe«, protestierte er. »Unser Ehegelübde!«
    »Ich habe nur noch einen wahren Ehemann, Samuel, und dessen Name ist Jesus. Ihn darf ich nicht hintergehen.«
    Schließlich musste Samuel begreifen, dass sie nicht nachgeben würde, und dass ihm, dank ihres Messias, ein Leben in Enthaltsamkeit drohte. Er hätte auf die Grausamkeit ihrer Entscheidung geschimpft, erfuhr zum Glück jedoch von der Existenz eines Bordells etwa zehn Meilen außerhalb von Ann Arbor, wo er seinen romantischen Interessen mit weit weniger emotionaler Beschwernis nachgehen konnte, was eine ansprechende Aussicht war.
    Als Junge wurde Hawley von seiner Mutter dazu ermutigt, seine Einsamkeit zu genießen. Die beiden saßen lange Stunden auf der Veranda und sahen zum Himmel hinauf, während sie die Gedanken ihres Sohnes auf den Herrn zu richten versuchte. Sie glaubte, solange sie beide für sich waren, gebe es weniger Gelegenheit für Sünde. Ihr einziges Lebensziel bestand darin, sicherzustellen, dass Hawley in den Himmel kam, selbst wenn sie ihn zu früh dort abliefern musste.
    »Gottes glorreicher Himmel«, sagte sie und lächelte das Lächeln einer geistig Gestörten, während sie den Blick auf die vorbeiziehenden Wolken geheftet hielt und die Sonne dahinter aufblitzen sah. »Danke dem guten Herrn, Hawley, für diesen so wunderschönen Tag.«
    »Ich danke Dir, Herr«, sagte Hawley brav und blinzelte ins Licht.
    »Gottes glorreiches Werk«, stellte sie fest, wenn sie fröhlich überall im Haus Staub wischte, Spinnweben wegfeudelte und mit einem schmierigen Lappen den Schmutz von den Fenstern wischte. »Danke dem guten Herrn, Hawley, dass er all den Schmutz um uns herum geschaffen hat, damit wir die Ehre haben, ihn in Seinem Namen zu entfernen.«
    »Ich danke Dir, Herr«, antwortete Hawley misstrauisch, und der aufgewirbelte Staub ließ ihn husten.
    Das gemeinsame Abendessen im Hause der Crippens war eine ruhige Angelegenheit. Samuel kam um sechs von der Arbeit im Lebensmittelladen zurück, und seine Frau bereitete ein spartanisches Mal für sie drei. Für gewöhnlich bestand es aus trockenem gekochten Gemüse und womöglich nicht ganz durchgegartem Hühner- oder Schweinefleisch, das ihnen Durchfall und Verdauungsprobleme bescherte. Für die armen Seelen im Fegefeuer.
    »Gottes glorreiche Gaben«, sagte Jezebel, lächelte ihre Männer selig an und breitete die Arme aus, als wäre sie der wiedergeborene Jesus beim letzten Abendmahl. »Danke dem guten Herrn, Hawley, dass er uns mit so einem reichen Mahl beschenkt.«
    »Ich danke Dir, Herr«, antwortete Hawley, und es rumorte in seinem Magen, und die Beine wurden ihm schwach, während sich sein Inneres Gottes glorreichen Verdauungsstörungen ergab.
    Als Jezebel in ihre Dreißiger kam und Gottes Glorie in jedem einzelnen gesegneten Augenblick des Tages zu sehen begann, verbrachte Samuel immer weniger Zeit zu Hause. Er ging lieber in die örtliche Kneipe, wo er seinen Verdruss im Alkohol ersäufte. Seine Frau betrachtete das mit Missfallen, doch er hielt ausreichend Distanz, um ihre Beschwerden ignorieren zu können. Sie äußerte sie sowieso meist nur, wenn er betrunken war, und da störten sie ihn kaum. Einmal kam er etwa gegen Mitternacht nach Hause, wacklig auf den Beinen, das Gesicht aufgedunsen, die Nase so rot wie bei einem der Rentiere des Weihnachtsmanns. Er kam hereingestolpert und sang ein derbes Lied, das von den Abenteuern eines gut ausgestatteten Seemannes in einem schlecht beleumdeten Haus in Venedig

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