Der freundliche Mr Crippen | Roman
persönlich über den Marconi-Telegrafen gekommen, er sei wiederhergestellt, aus dem Krankenhaus entlassen und stehe bereit, seine Pflichten auf der
Montrose
wiederaufzunehmen, sobald sie in Antwerpen eintreffe. Die Nachricht war alles, worauf Kapitän Kendall gewartet hatte, und er hatte seitdem kaum aufhören können, auf dem Schiff herumzumarschieren, um all die zusätzliche Energie zu verbrennen, mit der ihn seine Begeisterung versorgte.
»Sie sind enge Freunde, nicht wahr?«, sagte Carter, der gern mehr über die Beziehung zwischen den beiden erfahren hätte.
»Er ist ein ausgezeichneter Erster Offizier, müssen Sie wissen«, sagte Kendall geistesabwesend, als schenkte er der Sache kaum Beachtung und als hätte ihn der Gedanke an Mr Sorensons Gesundheitszustand nicht seit dem Morgen ihrer Abreise ständig verfolgt. »Nicht, dass Sie schlechter wären, aber wir fahren seit langer Zeit zusammen. Wir sind wie ein altes Ehepaar, wir kennen unsere Eigenarten so gut, dass wir ohne einander verloren sind.«
»Tatsächlich«, sagte Carter und versuchte, ein Lächeln zu unterdrücken. Natürlich hatte das Verhältnis der beiden nichts mit dem eines Ehepaares zu tun, zumindest nicht so, wie er und seine Frau es verstanden, aber Carter sagte nichts weiter dazu, denn vielleicht hatte Kendall ja am Ende doch nicht ganz unrecht. »Feiern Sie auch Ihre Hochzeitstage?«, fragte er verschmitzt. »Mit gegenseitigen Geschenken? Zur papiernen, silbernen und so weiter Hochzeit?«
Kendall hob argwöhnisch die Brauen und fragte sich, ob er verspottet wurde, doch bevor er noch etwas sagen konnte, klopfte es an der Tür. »Herein«, dröhnte er, und die Tür öffnete sich und gab den Blick auf den Besucher frei. »Ah, Sie müssen Inspector Dew sein«, sagte der Kapitän, stand auf und schüttelte Dew die Hand. »Endlich lernen wir uns auch persönlich kennen.«
»Ja, das bin ich«, sagte der Eintretende. »Die Freude ist ganz meinerseits, Kapitän.«
»Das ist mein Erster Offizier, Mr Carter.«
»Mr Carter«, sagte Dew, nickte und schüttelte auch dessen Hand.
»Nun, das ist der Moment der Wahrheit, wie?«, sagte Kendall. »Stellen Sie sich vor, ich hätte mich von Beginn an geirrt.«
Dew lachte schnell. »Hoffen wir, dass es nicht so ist«, antwortete er. »Haben Sie eine Vorstellung davon, wie die Welt diesem Augenblick entgegenfiebert? Wir sind alle Berühmtheiten, und Sie, Kapitän Kendall, gelten als Held, weil Sie ihn entdeckt haben.«
Kendall drückte die Brust vor und strahlte. »Es ist nett, dass Sie das so sagen, Inspector, aber ich habe nur meine Pflicht getan. Wie also gehen wir am besten vor? Sie sind in einer der Erste-Klasse-Kabinen. Geben sich als Mr John Robinson und sein Sohn Edmund aus. Sollen wir hinuntergehen?«
Inspector Dew schüttelte den Kopf. »Ich hätte sie lieber nicht beide gemeinsam«, sagte er. »Wäre es möglich, jemanden hinzuschicken und Dr. Crippen – Mr Robinson, meine ich – hier in Ihre Kabine zu bitten? Dann kann ich ihn verhaften, ohne dass Miss LeNeve bei ihm ist oder einer der anderen Passagiere in Gefahr geraten könnte.«
Kendall zuckte mit den Schultern. »Wie Sie mögen, Inspector«, sagte er. »Jetzt?«
»Jetzt.«
»Mr Carter, wären Sie so nett, Mr Robinson herzubitten?«
»Unter welchem Vorwand, Sir?«
»Ich weiß es nicht«, sagte der Kapitän gereizt. »Denken Sie sich etwas aus. Benutzen Sie Ihre Fantasie. Sagen Sie ihm nur nicht die Wahrheit und kommen Sie so schnell wie möglich mit ihm her. Und sagen Sie ein paar Offizieren, sie sollen die Augen offen halten. Wenn Sie mit ihm hier hereinkommen, sollen sie sich draußen auf dem Gang bereithalten, falls es Schwierigkeiten gibt.«
»Ja, Sir.« Carter ging hinaus. Er war ziemlich aufgeregt, als er in Richtung der Erste-Klasse-Kabinen ging.
»Nervös, Inspector?«, fragte Kendall.
»Nicht besonders«, antwortete der. »Hoffnungsvoll wäre das bessere Wort.«
Allerdings konnte Dew nicht genau sagen, worauf er hoffte: dass dieser Mr Robinson wirklich Dr. Crippen war, oder dass er unschuldig war und er, Dew, die Wahrheit über Coras Tod doch noch nicht kannte? Sie warteten, Seite an Seite, dass Billy Carter mit ihm zurückkam.
Hawley und Ethel waren damit beschäftigt, ihre Sachen zu packen, als es an der Tür klopfte. Sie hatten nur drei Koffer mit auf die
Montrose
gebracht, in denen sich ihre gesamte weltliche Habe befand. Sonst hatten sie nichts mitnehmen wollen. Fast alles Mobiliar im Haus am
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