Der freundliche Mr Crippen | Roman
der
Laurentic
jedoch, die sich zumeist für die Methode interessiert hatten, mit der Crippen seine Frau beseitigt hatte, und für den grausigen Fund im Keller, schienen die Kanadier unbedingt wissen zu wollen, was mit ihm nach seiner Rückkehr nach London geschehen würde.
»Er wird natürlich gehängt«, sagte einer.
»So gut wie sofort«, meinte ein anderer.
»Einen Prozess braucht der nicht, würde ich denken.«
»Ein Prozess ist immer nötig, Madame«, sagte Dew, dem die Vorstellung nicht recht behagen wollte, dass Hawley Crippen am Ende eines Seiles baumelte, ganz gleich, was er getan haben mochte. »Wir leben in einem Land, in dem jeder als unschuldig gilt, bis man ihm seine Schuld bewiesen hat. Wie Sie, wie ich glaube, auch.«
»Aber, Inspector, wenn einer ein so grässliches Verbrechen begangen hat, hat es doch keinen Sinn, lange herumzutun? Wenn Sie sich überlegen, jemandem auf eine solche Weise das Leben zu nehmen …«
»Was ein Grund mehr für uns ist, uns mit dem Urteil Zeit zu lassen«, antwortete er. »Ein Mord ist ein Kapitalverbrechen, welches zwingend die Todesstrafe fordert. Wenn wir da nicht sicher sind, ob das, was wir tun, richtig ist, machen wir uns mit Mördern gemein.«
Seine Antwort schien sie zu enttäuschen, offenbar hatten sie auf etwas Drastischeres gehofft. »Wird er erschossen oder aufgehängt?«, fragte eine uralte Hexe mit einem so faltigen Gesicht, wie Dew es noch bei keinem Menschen gesehen hatte.
»Aufgehängt, würde ich sagen.
Wenn
er für schuldig befunden wird. Aber ich kann nicht eindringlich genug darauf hinweisen, dass …«
»Waren Sie schon einmal dabei, wenn einer aufgehängt wurde, Inspector?«
»Mehrfach.«
»Ist es sehr aufregend?«
Er schüttelte den Kopf. »Nein«, sagte er, »ganz und gar nicht. Es ist tragisch. Nachdem bereits jemand sein oder ihr Leben verloren hat, kommt nun noch jemand zu Tode. Es ist nichts, was einem Freude oder Befriedigung verschaffen könnte.« Allmählich war er überzeugt, dass die Gäste sich zusammengetan und die Pensionswirtin dafür bezahlt hatten, sich bei der Vorbereitung seines Zimmer ausgiebig Zeit zu lassen, um ihn gehörig ausfragen zu können.
»Wann gehen Sie morgen zum Hafen?«, meldete sich die menschliche Falte wieder. »Seit langer, langer Zeit hat es in Quebec keine solche Aufregung mehr gegeben. Wir können es nicht erwarten zu sehen, was geschieht.«
»Ich werde Dr. Crippen nicht auf kanadischem Boden verhaften«, stellte Dew bestimmt fest. »Es tut mir leid, Sie da enttäuschen zu müssen. Was heißt, dass die Zeit meines Aufbruchs ohne oder nur von geringer Bedeutung ist.«
»Sie verhaften ihn hier nicht? Ja, wo denn dann?«
Er überlegte. Wenn er es ihnen sagte, war damit nichts verloren. Die
Montrose
hatte ihre Instruktionen erhalten und war bis zum Anlegen praktisch vom Rest der Welt abgeschnitten. »Ich werde mit einem Boot zu Dr. Crippens Schiff fahren und ihn an Bord verhaften«, sagte er.
»O nein! Das doch sicher nicht!«, riefen sie enttäuscht.
»Ich fürchte, doch.«
»Aber damit verderben Sie es für alle.«
»Madame, es geht hier nicht um ein Bühnenstück, das zur allgemeinen Unterhaltung aufgeführt wird, sondern um die Verhaftung eines Mannes, dem ein Mord vorgeworfen wird. Ich entschuldige mich dafür, dass ich es nicht kurzweiliger gestalten kann, aber so ist es nun einmal.«
»Nun, das ist für uns alle sehr schade«, sagte die Wirtin und drängte herein, nachdem sie offenbar im Flur gestanden und zugehört hatte. »Ihr Zimmer ist fertig«, fügte sie endlich noch gereizt hinzu, als habe ihr das alles viel zu viele Umstände gemacht.
»Danke«, sagte er. »Dann wünsche ich Ihnen allen eine gute Nacht.«
Trotz der frühen Stunde hatte sich am nächsten Morgen, als er durch den Salon kam, längst wieder exakt die gleiche Gruppe versammelt. Er sah sie überrascht an, sie schienen sich seit dem Abend nicht bewegt zu haben. Allerdings befragten sie ihn diesmal nicht, sondern folgten ihm nur mit Blicken, als er zur Polizei aufbrach – als wäre er keinen Deut besser als dieser Dr. Crippen selbst.
Inspecteur Caroux war ebenfalls früh aufgestanden und hatte seine beste Uniform angelegt, wusste er doch, dass er später fotografiert werden würde. Seinen Schnauzbart hatte er mit ein wenig Wachs und das Haar mit einem eleganten Tonikum geglättet. Die Duftwolke, die ihn umgab, war so überwältigend, das Rasierwasser so kräftig, dass Dew ein Stück zurückwich und husten
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