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Der freundliche Mr Crippen | Roman

Der freundliche Mr Crippen | Roman

Titel: Der freundliche Mr Crippen | Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Boyne
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Jahre nach ihrem Umzug nach London, im Winter 1899 , eröffnete Dr. Hawley Harvey Crippen endlich seine erste eigene medizinische Praxis als Zahnarzt in einem kleinen Raum in Holborn. Es war keine Vollzeittätigkeit. Nach wie vor arbeitete er tagsüber für Munyon’s Homeopathic Medicines, wo er mittlerweile für alles verantwortlich war, da sich sein Arbeitgeber zur Ruhe gesetzt hatte. Er arbeitete von sieben Uhr morgens bis vier Uhr nachmittags, mit nur einer Stunde Mittagspause. Von vier bis sechs ging er in den Pub The Pig in the Pond in der Chancery Lane, wo er die
Times
oder eine seiner medizinischen Zeitschriften las und dabei zu Abend aß. (Er genoss nichts mehr, als über die letzten Fortschritte bei den Autopsietechniken zu lesen und gleichzeitig die Brust von einem Hähnchen zu lösen oder sein Messer durch ein blutiges Filetsteak gleiten zu lassen.) Von sechs bis neun öffnete er dann seine Praxis und behandelte all die Leute, die einen Zahnarzt brauchten, aber wegen ihrer Arbeit tagsüber keinen besuchen konnten. Beides zusammen, Homöopathie und die Arbeit als Zahnarzt, verschaffte ihm ein annehmbares Einkommen. Die Idee, sich als Zahnarzt niederzulassen, war ihm gekommen, als klar wurde, dass er niemals die Mittel aufbringen würde, um ein reguläres Medizinstudium zu absolvieren und ein richtiger Arzt zu werden. Er war mittlerweile sechsunddreißig und sah die Dinge pragmatischer. Sich ohne Abschluss oder Qualifikation Zahnarzt zu nennen und eine Praxis zu eröffnen, war zwar nicht ohne Risiko, aber die Wahrscheinlichkeit, überführt zu werden, war, solange er sein Operationsgebiet auf die Zähne der Leute beschränkt hielt, weitaus geringer, als wenn er sich als Allgemeinarzt ausgab.
    Cora und er wohnten immer noch am South Crescent in Bloomsbury und hatten sich in ein bequemes Leben einmütiger Zwietracht gefügt. Mrs Crippen nahm seit einem Jahr Unterricht bei Signor Berlosci, spürte jedoch nur eine kleine Verbesserung ihrer Fähigkeiten. Aber sie hatte sich in ihn verliebt, wobei ihre Leidenschaft von dem Stimmbildner nicht erwidert wurde. Natürlich hatte er sie verführt, doch alles, was darüber hinausging, war Anathema für ihn.
    »Wenn ich dich nicht hätte, würde ich verrückt werden«, sagte sie eines Nachmittags, nackt auf dem Diwan in seinem Wohnzimmer liegend, während er sich anzog und einen Blick auf die Uhr warf, um zu sehen, wann seine nächste Schülerin kam. »Du bist alles, was Hawley nicht ist.« Sie machte sich selbst noch weniger attraktiv, indem sie mit geöffneten Beinen dalag und ihr die Brüste seitlich vom Körper rutschten, ganz zu schweigen davon, dass das durchs Fenster fallende helle Sonnenlicht jeden kleinen Makel ihres Körpers hervorhob.
    »Meine liebe Cora«, sagte Berlosci, den das Gespräch langweilte, »du holst dir noch den Tod, wenn du so nackt daliegst. Bedecke dich.« Er hatte eine seltsame Abneigung dagegen, die Frauen, mit denen er schlief,
post coitum
nackt zu sehen, sondern bevorzugte es, wenn sie sich möglichst schnell wieder ankleideten und verabschiedeten. Wenn ihn der sexuelle Drang erst einmal verlassen hatte, brauchte er ihre Aufmerksamkeit nicht mehr. Cora erhob sich, tappte zu ihm hin, drückte ihren Körper gegen seinen, küsste ihn sanft auf die Lippen und hoffte auf eine weniger zurückhaltende Reaktion.
    »Wann sprichst du mit Mr Mullins über mich?«, fragte sie und fuhr mit ihren Lippen zu seinen Ohren und über den Hals.
    »Bald, bald«, antwortete er. »Du bist noch nicht so weit.«
    »Aber ich komme jetzt seit einem Jahr zu dir, Alfredo«, sagte sie. »Da müsste es doch langsam Zeit sein?« Sie küsste ihn wieder und hoffte, ihn zu erregen, wusste jedoch, dass es unwahrscheinlich war. Trotz seines lustvollen Appetits benahm sich der alternde Italiener wie eine launische Diva. Er weigerte sich, öfter als einmal pro Nachmittag auf der Bühne zu erscheinen, und heute war der Vorhang bereits gefallen.
    »Er ist ein viel beschäftigter Mann«, sagte Berlosci, befreite sich aus ihrer Umarmung, sammelte ihre Wäsche vom Boden auf, wo sie im Eifer des Gefechts gelandet war, und gab sie ihr, wobei er den Anblick ihrer Nacktheit vermied. Wenn sie sich liebten und auf dem Diwan oder dem Bett lagen, war Cora für ihn eine durchaus unterhaltsame Partnerin. Vielleicht waren ihre Hüften von etwas mehr Fleisch umgürtet, als es ihm gefiel, und ihre Schultern boten ein gewisses maskulines Vergnügen, das ihn störte, aber alles in allem war

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