Der freundliche Mr Crippen | Roman
Nicholas, »dass du diesen Crippen ungebührlicher Eile anklagst, was die Suche nach einer neuen Frau angeht, und sie des schlechten Geschmacks, den Schmuck seiner toten Frau zu tragen. Das ist aber doch kaum ein Fall für Scotland Yard, oder?«
»Was wir
meinen,
ist«, sagte Louise, die sich nach der schrecklichen Neuigkeit dieses Tages nicht auch noch von oben herab behandeln lassen wollte, »dass eine Frau nicht nach Amerika fährt, ohne ihren Freundinnen davon zu erzählen. Wir meinen, dass sie nicht einfach so dort hinfährt und plötzlich stirbt, obwohl alles mit ihr in Ordnung war. Und wir meinen auch, dass sie ganz sicher nicht ihren besten Schmuck zurücklässt, damit sich irgendeine Schlampe oder ein Flittchen daran bedienen kann, kaum dass sie ihrem Mann den Rücken gekehrt hat. Das alles scheint nicht sehr wahrscheinlich, und ich glaube kein Wort davon.«
»Du glaubst doch nicht, dass der Bursche sie umgebracht hat, oder?«, fragte Andrew lachend. »Wirklich. Ich weiß ja nicht, was ihr Ladys bei euren Treffen macht, aber das klingt für mich, als würdet ihr eurer Fantasie …«
»Was haben sie gesagt, Louise«, unterbrach Margaret ihren Mann. »Bei Scotland Yard. Was haben sie dir gesagt?«
»Ich habe mit Inspector Dew gesprochen«, fing sie an.
»Dew?«, sagte Andrew. »Von dem habe ich schon gehört. Einer der Besten, glaube ich.«
»Also, selbstverständlich war er sehr höflich zu mir, aber um ehrlich zu sein, glaube ich nicht, dass er besonders interessiert war. Er schien zu denken, dass ich mir unnötig Sorgen mache, und hat mir praktisch vorgeworfen, seine Zeit zu verschwenden.«
»O Louise! Dabei bist du die Schwiegertochter von Lord Smythson!«
»Schwägerin«, korrigierte Andrew sie.
»Ich weiß, es ist furchtbar. Auf jeden Fall habe ich ihm zum Schluss noch gesagt, dass es damit noch lange nicht zu Ende ist und dass er bald schon meine und die Hilfe meiner Freundinnen brauchen würde, um Cora Crippen zu finden, und wie stehe er dann da? Wie ohne Hose.«
»Deine Ausdrücke, meine Liebe!« Nicholas lachte.
»Ich sage nur, was wir alle denken«, sagte Louise. »Und was Margaret und ich denken, ist, dass dieser Dr. Crippen Cora aus dem Weg geräumt hat, und wie können wir das zulassen, wo sie doch unsere Freundin ist?«
»Zunächst mal«, sagte Andrew, »wenn er sie tatsächlich aus dem Weg geräumt hat, wie du es ausdrückst, wird er kaum an eurer Erlaubnis interessiert sein. Und dann ist der Mann Arzt. Er hilft, Leben zu erhalten, und nicht, es jemandem zu nehmen. Da wird er sich kaum in eine solche Sache hineinziehen lassen, oder? Eure Fantasie geht mit euch durch. Habt ihr vorm Schlafengehen Käse gegessen? Irgendwo habe ich gelesen, das sei ein weitverbreiteter Grund für Hysterie unter Frauen.«
»O Andrew, du musst der Sache auf den Grund gehen«, sagte Margaret.
»Ich? Was kann
ich
denn da tun?«
»Du hast doch Geschäfte in Mexiko. Den Bergbauvertrag?« Andrew überlegte. Sie sprach von einer Reise nach Mittelamerika, die er bald schon antreten wollte. Er musste dafür sorgen, dass seine Firma den Zeitplan seines Bergbauprojekts bei Guadalajara einhielt.
»Das stimmt«, sagte er. »Aber ich sehe nicht ganz, wie …«
»Du könntest danach nach Kalifornien fahren«, sagte seine Frau, »und herausfinden, wie genau Cora zu Tode gekommen ist. Da soll es doch geschehen sein.«
»O ja, Andrew«, sagte Louise und klatschte in die Hände. »Das könntest du tun.«
»Aber ich werde keine Zeit dafür haben«, protestierte er. »Ich bin doch nur ein paar Tage da und werde zu sehr mit meiner Arbeit beschäftigt sein.«
»Einen Tag wirst du schon erübrigen können, um einen Mörder zu fangen, oder?«
»Er ist kein Mörder.«
»Aber er könnte einer sein. O bitte, Andrew. Sag, dass du es tust!«
Er seufzte und schüttelte den Kopf. »Ich weiß nicht, was ihr euch vorstellt, was ich da herausfinden soll«, sagte er endlich. »Aber wenn es euch so viel bedeutet …«
»Oh, du bist wundervoll!«, sagte Louise glücklich. »Jetzt werden wir die Wahrheit herausbekommen.«
Nachdem sie ihn überredet hatten nachzuforschen, wandten sie sich weniger morbiden Themen zu, und erst im Laufe des Abends fiel Louise zurück in ihre Verdrießlichkeit über das, was ihre Schwägerin ihr eröffnet hatte. Vielleicht sollte ich Martin Dr. Crippen vorstellen, dachte sie böse, vielleicht kann der Doktor ihn zu etwas inspirieren.
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8 Der Dentist
London: 1899 bis 1905
Sechs
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