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Der freundliche Mr Crippen | Roman

Der freundliche Mr Crippen | Roman

Titel: Der freundliche Mr Crippen | Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Boyne
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Schweiß auf der Stirn, und er versuchte, sich geistig von den Vorgängen zu lösen, indem er ins Licht sah und einen Akt der Selbsthypnose unternahm. Nachdem der Abszess vollständig gesäubert war, nahm Hawley eine der Zangen, drängte den Jungen, den Mund noch weiter zu öffnen, fasste den schwarzen Rest des Zahnes, drückte die Zange fest zusammen und begann, ihn, sanft erst, dann bestimmter, hin- und herzuhebeln, um ihn aus seiner Verankerung zu lösen. Der Druck und das Hebeln erfüllte den Körper des Jungen mit Schmerzwellen, und ein Schrei entwich seinem Rachen. Milburn hörte, wie die Zange den knirschenden Zahn hin- und herbog, und hätte Hawley nicht über ihm gestanden und ihm ein Knie auf die Brust gedrückt, wäre er womöglich aufgesprungen und in heller Panik aus der Praxis geflohen. Ein scharfes Krachen warf Hawley zurück, die Zange in der Hand, in der ein Stück des Zahnes klemmte. Milburn entfuhr ein überraschter Schrei, Blut strömte ihm aus dem Mund, und er bäumte sich auf, aber der Schmerz durch den gerissenen Zahn war nichts im Vergleich mit der Erleichterung, die er darüber empfand, dass die Operation endlich vorüber war. Er lehnte sich zurück, staunend, dass sein Mund immer noch schmerzte, und schwor sich, nie wieder so lange zu warten, bis er zum Zahnarzt ging.
    Hawley ließ ihn den Mund mehrmals ausspülen und drückte etwas Verbandsmull auf die Stelle, wo der Zahn gewesen war, um den Blutfluss einzudämmen. Als die Blutung endlich nachließ, studierte er die Wunde und legte die Stirn in Falten.
    »Schlechte Nachrichten, fürchte ich, Master Milburn«, sagte er, was den Herzschlag des Jungen in neue, panische Höhen trieb. »Es ist, wie ich es mir schon dachte. Der Zahn war so schlecht, dass er beim Ziehen abgebrochen ist. Die Wurzel steckt noch im Zahnfleisch, und ich muss sie chirurgisch entfernen.«
    »O nein«, stöhnte Milburn und fragte sich, ob es schlimm wäre, wenn er zu weinen begänne. »Bitte nicht. Kann sie nicht einfach drinbleiben?«
    »Wenn sie drinbleibt, entzündet sich der ganze Kiefer, und innerhalb eines Monats müssen alle Zähne raus.«
    Milburn nickte stoisch und fügte sich in sein Schicksal. So viel konnte doch jetzt nicht mehr zu ertragen sein, sagte er sich. »Also dann«, sagte er, lehnte sich zurück und schloss die Augen.
    »Unglücklicherweise ragt kein Stück der Wurzel aus der Wunde heraus, sodass ich das Zahnfleisch aufschneiden und sie herausoperieren muss. Das ist nicht sehr angenehm, fürchte ich.«
    Milburn starrte ihn an und spürte, wie er hysterisch zu lachen begann. Stand da wirklich ein Zahnarzt vor ihm, oder handelte es sich um einen sadistischen Mörder, der möglichst viel Blut und Schmerzen produzieren wollte? Wie es auch sein mochte, ihm blieb kaum eine Wahl, als den Mann beenden zu lassen, was er begonnen hatte, und so legte er den Kopf zurück und grub seine Fingernägel noch ein Stück tiefer in die Handflächen. Hawley nahm eine Klinge, schnitt das Zahnfleisch mit zwei sich kreuzenden Schnitten auf wie ein Brötchen und legte die Wurzel frei. »Da ist sie ja«, rief er freudig und drückte das Zahnfleisch mit zwei Werkzeugen so weit auseinander, dass er das problematische Objekt sehen konnte. »Was für eine Schönheit!« Es war schwierig, die Wurzel zu entfernen bei all dem Blut, das in die Höhlung strömte, aber schon fuhr er mit der schmalsten Zange seines Sortiments in die Öffnung, packte sie fest, ohne sich weiter um den sich windenden, schreienden Jungen unter ihm zu kümmern, und lockerte sie mit der rechten Hand, während er die linke auf die Brust seines Patienten legte und ihn in den Stuhl drückte, damit er nicht floh. Mit dem Geräusch von Luft, die in ein Vakuum dringt, löste sich der Rest des Zahnes, und Hawley trat triumphierend zurück, die Zange mit dem Wurzelstück in der blutüberströmten Hand, während Peter Milburn sich die unerträglich schmerzende Gesichtsseite hielt. Es war eine der schlimmsten Erfahrungen seines Lebens, und er würde sie niemals vergessen. Milburn setzte sich auf und versuchte, aus dem Stuhl aufzustehen, aber seine Beine waren zu schwach, und das Blut strömte ihm immer noch aus dem Mund.
    »Sehen Sie nur«, sagte Hawley, hielt die Zange ins Licht und bewunderte den Zahn, den er dem Jungen aus dem Kiefer gerissen hatte. »Völlig verfault und doch eine Schönheit.« Er sah Milburn an und nickte zum Waschbecken hinüber. »Sie spülen sich besser den Mund aus«, sagte er. »Dann setzen

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