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Der freundliche Mr Crippen | Roman

Der freundliche Mr Crippen | Roman

Titel: Der freundliche Mr Crippen | Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Boyne
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eine Liste. Sonst … sonst …« Er verlor den Faden und wünschte, die junge Frau ließe ihn mit seinem Elend allein.
    »Wie schön«, sagte die jedoch mit munterer Stimme, sie war sich seiner Verlegenheit bewusst. »Wohin ziehen Sie, wenn ich fragen darf?«
    Er hob den Blick. Ihre Freundlichkeit tat ihm gut. »An den Hilldrop Crescent«, sagte er, »in Camden. Bisher haben wir in Bloomsbury gewohnt, konnten uns aber nur die obere Etage eines Hauses leisten. Da wird es schön sein, etwas ganz für uns zu haben. Wir freuen uns sehr darauf.«
    »Das sollten Sie auch«, sagte sie. »Es ist nur normal, dass Ihre Frau unter den Umständen etwas aufgeregt ist.«
    Hawley nickte und erkannte, dass er eine Freundin gefunden hatte, und vielleicht auch eine Typistin. »Also, Miss LeNeve«, sagte er.
    »Bitte, nennen Sie mich Ethel«, sagte sie.
    »Also, Ethel. Sind Sie an der Stelle noch interessiert?«

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    9  Mrs Louise Smythsons zweiter Besuch bei Scotland Yard
    London: 10 . Juni 1910
    Police Constable Peter Milburn hob den Blick, als sich die Eingangstür zu Scotland Yard öffnete, und sah zwei ältere Frauen wie Armeeoffiziere auf ihn zuschreiten, links, rechts, links, rechts im Gleichschritt, die Taschen fest mit beiden Händen gefasst, die Hüte im genau gleichen Winkel auf den Köpfen, eine in einem dunkelroten Kleid, die andere in einem grünen, wie zwei widerstreitende Ampelfarben. Er seufzte, legte die Dienstpläne zur Seite und sah die beiden mit einem resignierten Lächeln an.
    »Guten Morgen, Ladys«, sagte er und hätte noch weitergesprochen, aber die Lady links im roten Kleid, Mrs Louise Smythson, unterbrach ihn gleich.
    »Wir haben uns bereits kennengelernt, junger Mann«, sagte sie. »Erinnern Sie sich nicht?«
    Er blinzelte. Vor diesen Tisch traten jeden Tag mindestens hundert Leute, und er behielt kaum einen von ihnen im Gedächtnis, sobald sie ihm den Rücken gekehrt hatten, aber an dieser Frau kam ihm etwas bekannt vor. »Wie kann ich Ihnen helfen?«, fragte er und überhörte die Frage.
    »Sie können mir helfen, indem Sie meine Frage beantworten«, verlangte die Frau, die sich offenbar von niemandem abweisen ließ. »Erinnern Sie sich daran, dass ich bereits einmal hier war?«
    »Natürlich, Ma’am. Es war in Verbindung mit …«
    »Ich war Ende März hier, in Verbindung mit einer vermissten Person, Cora Crippen. Das Ergebnis war nicht zufriedenstellend, doch heute wird es anders sein, das versichere ich Ihnen. Das hier ist meine Freundin, Mrs Margaret Nash.«
    PC Milburn sah zu ihrer Begleiterin, deren strenger Gesichtsausdruck von einem sekundenlangen Lächeln aufgehellt wurde, während sie zwei Worte hervorbrachte: »Sehr erfreut.«
    »Mrs Nash«, sagte PC Milburn mit einem Nicken. »Und Mrs …?«
    »Smythson. Mrs Louise Smythson. Haben Sie denn kein Gedächtnis in Ihrem Kopf? Ich weiß auch nicht, was für Leute wir heute bei der Polizei beschäftigen, wirklich nicht. Kinder, die meisten davon Idioten.«
    Endlich kam PC Milburn eine Erinnerung an Louises letzten Besuch. Sie hatte ihn äußerst grob behandelt und unbedingt einen Inspector sprechen wollen, obwohl sie nichts als Mutmaßungen und Spekulationen vorzubringen hatte. Darüber hinaus hatte sie ihn verlegen gemacht, denn nachdem er sie gebeten hatte, Platz zu nehmen, hatte sie ihn nicht aus den Augen gelassen. Hätte er sich sonst vielleicht auch geschmeichelt gefühlt, war es ihm in ihrem Fall eher peinlich, war er doch gerade in eine junge Floristin namens Sally Minstrel verliebt. Und dann hatte ihm diese Mrs Smythson, als sie endlich zu Inspector Dew vorgelassen wurde, auch noch anzüglich zugezwinkert, und er war rot angelaufen.
    Was Louise betraf, so gefiel es ihr, dass PC Milburn wieder Dienst hatte. In den drei Monaten seit ihrem letzten Besuch bei Scotland Yard hatte sie öfter an ihn gedacht. Wenn er auch mindestens fünfzehn Jahre jünger war als sie, gehörte er doch zu genau der Sorte Mann, die ihr die Knie schwach werden ließ. Groß, mit nach hinten gekämmtem, dunklem Haar, scharf geschnittenen Wangenknochen und in Uniform. So liebevoll sie ihrem Mann Nicholas auch zugetan war, ganz besonders seinem Haus, seinem Geld und seinem möglichen Titel, jemand, der in einer Frau Leidenschaft auslöste, war er nicht. Nicht wie dieser hinreißende Bursche. Oder Stephen Dempsey, der Junge, der sich um ihren Garten am Tavistock Square kümmerte und nicht abgeneigt war, auf ihre Einladung hin auch ihr Boudoir zu

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