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Der freundliche Mr Crippen | Roman

Der freundliche Mr Crippen | Roman

Titel: Der freundliche Mr Crippen | Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Boyne
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besuchen. Oder Jim Taylor, der junge Kerl, der dienstagmorgens das Gemüse brachte und auf den sie sich verlassen konnte, wenn es oben im Bad eine leckende Stelle abzudichten galt. Oder einer der anderen Lieferanten, Handwerker und jungen Männer, die sie über die Jahre verführt hatte. Sosehr sie zur besseren Gesellschaft gehören wollte, worauf sie um nichts in der Welt verzichtet hätte, waren ihre körperlichen Leidenschaften doch nach wie vor durch ihre eher einfachen Wurzeln geprägt, und PC Milburn war genau die Art Mann, nach der sie lechzte. Dennoch war es ihr unmöglich, ihm gegenüber irgendeine Form von Höflichkeit zu zeigen.
    »Wie kann ich Ihnen heute helfen, Mrs Smythson?«, fragte Milburn und schenkte ihr ein Lächeln, das eine Reihe perfekt weißer Zähne sehen ließ.
    »Wir möchten Inspector Dew sprechen«, verkündete Louise. »Ich glaube, ich habe zusätzliche Beweise für unseren Fall.«
    »Hat der Inspector denn eine Untersuchung zum Verschwinden der Frau eingeleitet?«
    »Nicht, dass ich wüsste«, gab Louise zu.
    »Dann gibt es auch keinen Fall«, sagte Milburn.
    »Spielen Sie keine Spielchen mit mir, Sie junger Hüpfer«, sagte Louise mit lauter Stimme. »Das dulde ich nicht.«
    »Skandalös«, sprang ihr Mrs Nash bei.
    »Inspector Dew wird von den Beweisen in Kenntnis gesetzt werden wollen, glauben Sie mir. Sie sind äußerst belastend. Wir können beweisen, dass ein Mord begangen wurde!«
    Sie trat etwas zurück, damit das Wort seine Wirkung tun konnte, und Mrs Nash ließ einen dramatischen kleinen Seufzer hören. Louise hatte gehofft, PC Milburn würde bei dem Wort »Mord« in Habachtstellung gehen und vielleicht gleich die ganze Inspektorentruppe rufen, doch er wirkte so unbeeindruckt, als handle es sich um eine völlig alltägliche Sache. Was ja auch zutraf. Louise bewunderte seine lässige Miene, die ihn noch anziehender machte.
    »Ein Mord«, sagte er und nahm ein Blatt Papier, auf dem er etwas notierte. »Und wer genau, denken Sie, ist ermordet worden?«
    »Cora Crippen natürlich. Genau, wie ich es beim letzten Mal schon gesagt habe. Aber das ist kein Fall für einen Jungen wie Sie. Ich verlange, sofort mit Inspector Dew zu sprechen.«
    »Der Inspector ist ein beschäftigter Mann, Mrs Smythson. Er ist …«
    »Ist er im Gebäude?«
    »Wie bitte?«
    »Ist Inspector Dew im Moment hier im Gebäude von Scotland Yard?«, wollte sie wissen, und er sah mit einem Seufzen auf den Dienstplan vor sich und hoffte, der Inspector wäre nicht im Haus, damit er die Ladys nach Hause schicken konnte, ohne lügen zu müssen. Unglücklicherweise war das nicht der Fall.
    »Er ist hier«, gab er zu. »Aber er …«
    »Dann holen Sie ihn, Milburn, holen Sie ihn. Ich lasse mich diesmal nicht einfach so abspeisen. Nicht, wo das Leben einer Frau in Gefahr ist.«
    »Ich dachte, Sie hätten gesagt, sie ist bereits ermordet worden?«, sagte PC Milburn.
    »Und wenn es so wäre?«
    »Nun,
wenn
sie bereits ermordet wurde, kann ihr Leben nicht mehr in Gefahr sein. Dann ist sie tot.«
    Louise beugte sich zu ihm hin, sodass er das Käse-Gurken-Sandwich in ihrem Atem riechen konnte. Was für eine schöne Haut, dachte sie und studierte ihn eingehend. Was für volle Lippen. »Junger Mann, wollen Sie mir das Wort im Mund umdrehen?«, fragte sie.
    »Nein, Ma’am. Ich wollte nur darauf hinweisen …«
    »Aber da ist er ja!«, rief Louise, die den weißbärtigen, freundlich aussehenden Mann von etwa fünfzig durch das Büro hinter dem Wachraum gehen sah. »Inspector Dew!«, rief sie. »Inspector Dew!«
    PC Milburn drehte sich um und sah den Inspector argwöhnisch zu ihnen herüberblicken. Dann wandte sich Dew wieder einigen Papieren zu, doch Louise würde sich nicht so zurückweisen lassen. »Inspector«, rief sie, »wenn Sie mir bitte einen Moment Ihrer Zeit schenken könnten.«
    Dew seufzte, nahm sich vor, dem jungen Constable aufzutragen, in Zukunft die Tür geschlossen zu halten, setzte ein Lächeln auf und trat an Milburns Tisch. »Ja, Madam?«, sagte er und setzte seine Hände fest auf die Tischplatte. »Wie kann ich Ihnen helfen?«
    »Inspector, ich hoffe, Sie erinnern sich an mich«, sagte sie. »Mrs Louise Smythson, die Frau von Nicholas Smythson, Schwiegertochter des verstorbenen Lord Smythson. Mein Schwager Martin trägt den Titel im Moment. Bis auf Weiteres.«
    Dew sah sie an, und in ihm stieg eine Erinnerung an die ersten Kapitel der Bibel auf, in denen die Abstammung jedes Christenmenschen von Adam

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