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Der freundliche Mr Crippen | Roman

Der freundliche Mr Crippen | Roman

Titel: Der freundliche Mr Crippen | Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Boyne
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Arzt, Miss LeNeve«, sagte er.
    »Oh!«
    »Hawley Harvey Crippen«, sagte er und streckte ihr seine Hand entgegen. »Doktor Crippen, meine ich. Ich hätte mich längst vorstellen sollen.«
    »Ich muss mich entschuldigen«, sagte sie und wurde rot. »Ich meinte natürlich nicht Sie. Man hört nur so viele Geschichten …«
    »Machen Sie sich keine Gedanken, Miss«, sagte er und hob eine Hand. »Sie haben ganz recht. In den Straßen dieser Stadt treiben sich dieser Tage eine Menge Scharlatane herum. Ich selbst habe einen Abschluss von gleich zwei medizinischen Colleges, in Philadelphia und New York. In der Hinsicht müssen Sie meinetwegen keine Sorgen haben.«
    »Aus Amerika«, rief sie atemlos.
    »So ist es«, sagte er. Er hatte es sich angewöhnt, statt von seinen »Diplomen« nur noch von »Abschlüssen« zu sprechen, was die Sache vereinfachte, wie er glaubte.
    »Sie sind also Amerikaner? Ich wollte immer schon nach Amerika.«
    »Tatsächlich? Ich wollte immer nur weg von dort«, sagte er, was nicht stimmte, aber witzig klang, wie er meinte. Sie lächelte. Wieder senkte sich Schweigen über sie, das jedoch Sekunden später vom Läuten der Türglocke durchbrochen wurde. Hawley wandte den Kopf, und sein Lächeln erstarb, als er seine Frau auf sich zukommen sah. Sie hielt ihre Tasche mit beiden Händen vor sich hin, und in ihren Augen blitzte es. »Meine Liebe«, sagte er, doch sie unterbrach ihn gleich.
    »Komm mir nicht mit ›Meine Liebe‹«, fuhr sie ihn an. »Hast du mit diesen Andersons gesprochen?«
    Er schloss die Augen und stöhnte innerlich auf. »Ich habe es vergessen«, gab er zu, ohne dass ihm eine passende Entschuldigung einfallen wollte.
    »Du hast es vergessen?
Vergessen?
«, rief sie, und ihre Stimme hob sich immer mehr. »Himmel noch mal, du nutzloser Mann! Sie sollen morgen ganz in der Früh kommen, und sie haben gesagt, das tun sie nur, wenn du ihnen vorher eine Aufstellung gibst. Wozu taugst du eigentlich? Kannst du mir das sagen? Ich gebe dir eine einfache Aufgabe, und du …«
    »Meine Liebe, darf ich dir Miss LeNeve vorstellen?«, unterbrach Hawley sie, dem ihre Grobheit peinlich war. Er hoffte, sie zügeln zu können, indem er ihr klarmachte, dass sie nicht zu Hause am South Crescent waren, wo sie ihre Tiraden abfeuern konnte, bis sie müde oder hungrig wurde, sondern an seiner Arbeitsstelle, in Gegenwart von Fremden. Cora nahm Ethel in den Blick und taxierte sie.
    »Freut mich«, sagte sie kalt.
    Ethel schluckte und sagte nichts.
    »Miss LeNeve bewirbt sich um eine Stelle«, erklärte er. »Die alte Stelle von Miss Aldershot.«
    »Ha!«, sagte Cora und wies mit dem Kinn zu ihrem Mann hinüber. »Für den da wollen Sie bestimmt nicht arbeiten. Der ist so nutzlos wie ein Sack fauler Kartoffeln. Folgen Sie meinem Rat, Liebste, gehen Sie weiter und sehen Sie sich nach etwas Besserem um.«
    »Cora, also wirklich!«, sagte Hawley und versuchte ein Lachen, um zu unterstellen, dass sie nur Spaß machte, was ganz eindeutig nicht der Fall war.
    »Hawley, die Andersons!«, sagte sie. Das Leben und die Karriere von Ethel LeNeve waren ihr völlig egal. »Was machen wir jetzt mit denen?«
    »Ich habe die Liste in der Manteltasche«, sagte er. »Gleich, nachdem ich hier zugemacht habe, gehe ich zu ihnen hinüber.«
    »Oh, mach dir nicht die Mühe. Gib sie mir, ich bringe sie ihnen jetzt gleich. Später haben sie womöglich schon geschlossen. Ernsthaft, Hawley, manchmal weiß ich nicht, warum ich mir die Mühe mache. Wirklich nicht. Wenn sich ein Bühnenarbeiter so dumm anstellt wie du, setzen wir ihn ohne weitere Umschweife vor die Tür.«
    »Ja, meine Liebe«, sagte Hawley, holte die gewünschte Liste und gab sie ihr. Sie warf einen Blick darauf, um sich zu versichern, dass es die richtige war, und schien fast enttäuscht, hätte sie doch sonst gleich wieder über ihn herfallen können.
    »Denken Sie an meinen Rat, Miss LeNeve«, sagte sie, drehte sich um und gab ihren letzten Schuss ab. »Suchen Sie sich einen anderen Arbeitgeber. Gott weiß, ich wünschte, ich könnte einen neuen Mann finden.« Damit stürmte sie hinaus und schlug die Tür so heftig hinter sich zu, dass die beiden zusammenzuckten.
    Ethel wandte den Blick vorsichtig Hawley zu. Er tat ihr leid, und es war ihr peinlich. Sie hätte die Szene lieber nicht miterlebt.
    »Meine Frau«, sagte er mit einem sanften Lachen, als erklärte das alles. »Sie steht etwas unter Druck. Wir ziehen morgen um, verstehen Sie, und die Umzugsleute brauchen

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