Der freundliche Mr Crippen | Roman
Zéla«, sagte sie unterwürfig und nahm ihre Umgebung mit ein paar schnellen Kopfbewegungen in den Blick, als wäre dieser Besuch einzig und allein seine Idee gewesen.
»Matthieu, bitte«, murmelte er.
»Aber ja«, antwortete sie, »und Sie müssen Antoinette zu mir sagen. Was für schöne Räume Sie hier haben. Der arme Mr Drake wusste sich kaum zu entschuldigen, als er meiner Tochter und mir sagen musste, dass die Präsidentensuite, als er unsere Tickets buchte, bereits belegt war. Er gab sich die Schuld daran. Deshalb haben wir nur eine Erste-Klasse-Kabine, verstehen Sie. Sie waren schneller als wir, Monsieur Zéla, Sie Schlingel. Matthieu, meine ich.«
Er lächelte und schloss die Tür hinter ihr. Er hatte sich erst in letzter Minute entschlossen, Tom mit nach Kanada zu nehmen, und die Suite nur vierundzwanzig Stunden vor ihrer Abfahrt aus Antwerpen gebucht. Er bezweifelte sehr, dass sich Mrs Drakes unglücklicher Mann danach erkundigt hatte, und wenn, dann hatte er höchstens nach dem Preis gefragt, bevor er sich dagegen entschied.
»Nun, da muss ich mich wohl entschuldigen und mit einem Tee eine Wiedergutmachung versuchen«, sagte er galant. »Ich hoffe, Ihre Kabine ist bequem.«
»Oh, absolut ausreichend«, antwortete sie. »Ich selbst mache mir ja nicht so viel aus diesen Dingen. Das Wichtige ist, dass wir sicher in Kanada ankommen. Ich bin nicht sehr auf Äußerlichkeiten bedacht, wissen Sie.« Matthieu nickte und warf einen schnellen Blick auf ihr teures Kleid, ihren glitzernden Schmuck und den eleganten Hut, den sie vom Kopf nahm, als sie sich setzte. »Wie schön, dass Sie sich Ihren eigenen Tee machen können«, sagte sie, während sie zusah, wie er das Wasser in einem Topf zum Kochen brachte. »Was denken die sich bloß als Nächstes aus, was meinen Sie?«
»Ich habe keine Ahnung«, sagte er. »Aber ich freue mich schon, dabei zu sein, wenn sie es tun. Möchten Sie lieber Tee oder Kaffee?«
»Tee, denke ich. Ich finde, Kaffee ist ein unpassendes Getränk, Sie nicht?«
»Für wen?«
»Nun, für alle. Ich weiß nicht, warum, aber er kommt mir gewöhnlich vor. Nachmittags eine Tasse Tee mit etwas Zitrone, und ich bin eine zufriedene Frau, Matthieu. Wenn er für Queen Alexandra gut genug ist, dann auch für mich, und ich weiß sicher, dass sie jeden Tag um vier ihren Tee nimmt. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sich die königliche Familie zu einem Kaffee zusammensetzen würde, Sie etwa?«
»Ich habe nie darüber nachgedacht.«
»Nun, wenn Sie es getan hätten, würden Sie mir sicher zustimmen. Auf jeden Fall braucht es nicht viel, um mich zufriedenzustellen, wissen Sie. Eine einfache Tasse Tee, und ich bin glücklich wie ein Baby.« Sie öffnete ihren Fächer, und er hob leicht die Brauen. Der letzte Satz schien ihm schwer übertrieben. Als der Tee aufgegossen war, setzte er sich ihr gegenüber in einen Sessel und ließ die Blätter eine Weile ziehen, bevor er einschenkte.
»Es ist so schön, wenn man an Bord einige Bekanntschaften gemacht hat, finden Sie nicht auch, Matthieu?«, fragte sie.
»Doch, doch.«
»Mein Mann, Mr Drake, ist durch seine Arbeit viel auf Reisen, und ich denke, da kann er immer mit einem anderen Gentleman über Geschäfte, Politik oder so etwas reden. Als Lady wie ich, die mit ihrer Tochter reist, ist man gerne etwas vorsichtiger. Man will schließlich nicht, dass die Mitreisenden auf falsche Gedanken kommen.«
»Was für Gedanken sollten das sein, Antoinette?«, fragte er.
»Nun, ich weiß, Sie werden es für seltsam halten«, sagte sie mit einem, wie sie annahm, mädchenhaften Kichern, »aber ich habe gehört, dass viele Frauen so eine Atlantiküberquerung dazu nutzen, sich einen Ehegatten einzufangen. Zwei Wochen auf See und hinein in ein neues Leben, mit neuem Geld und einem neuen Mann. Ich habe es selbst gesehen, Matthieu. Am ersten Tag, als wir an Bord gingen, all die armen alleinstehenden, unglücklichen Frauen, die nach den unverheirateten Männern Ausschau hielten und bereits ihre Harpunen gezückt hatten. Sie müssen Ihnen doch aufgefallen sein. Es ist so schrecklich peinlich.«
»Ich fürchte, ich bin am ersten Tag ganz für mich geblieben«, gab er zu. »Ich habe das alles verschlafen, doch Sie haben sicher recht.« Natürlich war Matthieu selbst schon verheiratet gewesen, mehrfach, und ihm war mehr als bewusst, mit welcher Bewunderung einige Damen der Gesellschaft die Institution der Ehe betrachteten. Nur wenigen seiner Verbindungen war jedoch ein
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