Der Frevel des Clodius
Kreise der älteren Familienmitglieder keine bedeutende Figur, aber er hatte sich einmal gegen Pompeius behauptet und war unversehrt aus der Sache herausgekommen, wofür ich ihn sehr bewunderte.
»Decius, schön, dich zu sehen«, sagte er. »Merkwürdige Geschichte neulich nachts, was?« Niemand in Rom sprach von etwas anderem.
»Was erzählt denn Felicia?« fragte ich. Felicia war Creticus' Tochter.
»Sie gibt sich selbstgefällig und behauptet, sie könne uns nichts sagen, während sie gleichzeitig andeutet, daß sie Dinge weiß, von denen wir Männer nur träumen können. Was sagt deine Frau?«
»Ich bin nicht verheiratet, Onkel«, sagte ich. Er war zwar nicht der Bruder meines Vaters, aber ich nannte ihn trotzdem so.
Tatsächlich war er ein Cousin zweiten oder dritten Grades.
»Da kannst du dich glücklich schätzen. Na ja, ich wette, daß Clodia die Anstifterin war. Clodia und Felicia sind so eng befreundet, wie zwei Frauen es nur sein können, aber ich kriege aus dem Mädchen nichts raus. Ich habe ihrem Mann gesagt, er solle diesem Treiben ein Ende setzen, aber der Junge liebt sie abgöttisch und würde nichts sagen, was sie beleidigen könnte.«
Der Junge war der jüngere Crassus, und es stimmte. Seine Liebe zu Felicia war stadtbekannt. Ihre Verbindung war an sich eine typische Zweck-Ehe, aber manche Menschen sind einfach füreinander bestimmt. Als sie starb, baute er ihr das prächtigste Grabmal, das Rom je gesehen hat.
»Was Clodia angeht«, sagte ich, »ist es oft das Beste, nicht zu genau nachzufragen.«
»Jupiter hat gesprochen«, sagte er beschwörend. Unsere Unterhaltung wurde unterbrochen, als Celer mich zu sich herüberwinkte. Ich ging zu ihm, und er entschuldigte uns gegenüber einem Knäuel von Magistraten und ausländischen Botschaftern. Wir gingen nicht bloß in eine ruhige Ecke des Atriums, sondern bis ganz nach draußen ins Peristylium, wo wir sicher sein konnten, daß uns nicht einmal die Sklaven belauschen würden.
»Decius«, sagte er, »ich entbinde dich von all deinen politischen Pflichten. Ich habe einen Ermittlungsauftrag, und ich weiß, daß du der beste Mann dafür bist. Dein Vater tut so, als fände er es schrecklich unwürdig, aber er ist in Wahrheit sehr stolz auf deine Leistungen. Als ich dem Familienrat gestern abend mein Problem vorgetragen habe, hat er dich für die Aufgabe empfohlen.«
»Ich fühle mich geehrt«, sagte ich. Man hatte mich nicht über die Zusammenkunft des Familienrats informiert, aber das hatte in jenen Tagen nicht viel zu bedeuten.
»Und nun die Aufgabe: Du weißt wie jeder in Rom von der Entweihung der Riten der Guten Göttin durch meinen widerwärtigen Schwager. Heute tritt das Kollegium der Pontificis zusammen, um offiziell Anklage wegen Frevels zu erheben. Das heißt noch gar nichts. Sie können die Sache dann einem Gericht übergeben. Ein Prozeß würde... schmutzig werden. Das möchte ich lieber vermeiden. Was Clodius angeht, würde es mich nicht besonders grämen, das kleine Schwein am Kreuz sterben zu sehen. Aber ich möchte nicht, daß meine Frau in die Sache verwickelt wird. Hast du mich verstanden?«
Das war unangenehm. »Jawohl, mein Herr, aber ich kann nicht garantieren, daß ich in der Lage sein werde...« Er packte mich so heftig am Oberarm, daß er schmerzte.
»Decius, finde heraus, was geschehen ist. Finde heraus, wer dafür verantwortlich ist, trage Beweise zusammen, aber halte Clodia da raus! Hast du mich verstanden?«
»Absolut!« sagte ich. Es war nicht das erste Mal, daß man mir auftrug, Beweismaterial zu unterdrücken. Es war allerdings das erste Mal, daß die Forderung von meiner eigenen Familie erhoben wurde. Das war seltsam, denn sie hätten besser als irgend jemand sonst wissen müssen, daß ich das nicht konnte.
Nicht, daß ich besonders ehrlich gewesen wäre oder nicht tun wollte, was man von mir verlangte. Es war nur, daß irgendein bösartiger Genius in mir mich drängte, die Wahrheit zu ergründen und publik zu machen. Das war die Kehrseite des Talents, über das ich mit Asklepiodes gesprochen hatte. In einem konnte ich mir jedenfalls sicher sein. Mein Vater hegte keinerlei Illusionen über mich. Wenn er mich für den Job empfohlen hatte, wußte er auch, was dabei herauskommen konnte.
Die Wahrheit ist, daß mir all das damals keine großen Gewissenskrisen verursachte. Die Entweihung der Zeremonien der Bona Dea kam mir eher lächerlich als schockierend vor. Ein bloßer Skandal war für mich noch kein Verbrechen,
Weitere Kostenlose Bücher