Der Frevel des Clodius
Herrn bleiben und wer die geschiedene Herrin begleiten würde. Ich bemerkte, daß die Statuen noch mit Tüchern verhüllt waren. Die Sonne war durch die Wolken gebrochen, und man führte mich in einen abgeschirmten Garten, in dem noch die Melodie der Regentropfen widerhallte, die von den Ziegeln fielen. In einer Ecke stand ein kleines, mit einem roten Tuch bedecktes Standbild des Priapus. Auf der Vorderseite hing der Stoffetzen von dem überdimensionalen Phallus des Gottes wie die Parodie eines Banners. »Kann ich dir helfen?« Ich drehte mich um und sah eine Frau, die den Garten betreten hatte. Ich kannte sie nicht, war aber von ihrem weizenblonden Haar, den großen grauen Augen und dem Klang ihrer Stimme sehr angetan.
»Ich bin Decius Caecilius Metellus der Jüngere«, sagte ich, »und muß den Pontifex maximus sprechen.«
»Er ist im Moment nicht zu Hause«, sagte sie. »Kann ich vielleicht in irgendeiner Weise behilflich sein?« Ihre Grammatik und ihre Aussprache waren tadellos. Sie wahrte eine elegante Haltung, war trotzdem offen und hilfsbereit, ohne dabei aufdringlich vertraulich zu wirken. Mit einem Wort: eine Patrizierin.
»Ich bin mit der Ermittlung im Fall der jüngsten, ahm, Unannehmlichkeiten betraut, die sich bei den Riten der Bona Dea in diesem Haus ereignet haben.«
Sie sah nicht begeistert aus. »Wer«, fragte sie, »gibt dir die Autorität, in dieser Sache den Pontifex maximus zu befragen?«
Das war eine unangenehme Frage. »Es handelt sich nicht um ein offizielles Verhör, meine Dame. Eines der herausragendsten Mitglieder des Senats hat mich beauftragt, eine informelle Befragung durchzuführen, nicht mit dem Ziel, Anklage zu erheben, wie ich betonen möchte, sondern lediglich...«
»Metellus Celer«, sagte sie.
»Wie? Ah, nun ja, da liegst du nicht völlig falsch, aber eigentlich...« Ich bin von Natur aus kein Schwätzer, aber diese Frau hatte mich auf dem völlig falschen Fuß erwischt. »Wie, sagst du, war dein Name?«
»Den habe ich noch nicht gesagt. Ich bin Julia.« Das engte den in Frage kommenden Personenkreis etwas ein. Sie gehörte zu den fünfzig Prozent des Julianischen Gens, die weiblich waren.
»Ich wußte zwar, daß Gaius Julius eine Tochter hat, aber ich hatte geglaubt, sie sei... nun ja, also ich hatte den Eindruck, daß sie, sagen wir mal, jünger wäre.«
Ihr Gesicht blieb patrizisch ungerührt, aber ich spürte, daß sie innerlich über mein Unbehagen lachte.
»Gaius Julius ist mein Onkel. Ich bin Julia Minor, die zweite Tochter des Lucius Julius Caesar.«
»Ich verstehe. Ich wußte, daß du eine von den beiden Julias sein mußt. Ich meine, also, was ich sagen will... woher wußtest du, daß es Celer war?«
»Du bist ein Caecilius Metellus, und er ist der Mann von Clodia Pulcher.«
»Du hast eine ausgeprägte Deduktionsgabe«, sagte ich.
»Danke. Mein Onkel spricht oft von dir. Er sagt, du seist einer der interessantesten Männer in Rom.«
»Tut er das?« Ich war ehrlich überrascht. Ich kannte Gaius Julius nur flüchtig. Der Gedanke, daß er über mich sprechen könnte, zustimmend oder nicht, war mir nie gekommen.
»Oh, ja. Er sagt, du hast ein einzigartiges Talent zum Schnüffeln, Spionieren und Schlußfolgern. Er meint, deine Fähigkeiten müßten gerechterweise als Spezialdisziplin der Philosophie anerkannt werden.« Ich glaube nicht, daß sie mich vorsätzlich mit Komplimenten einlullen wollte. Sie schien absolut offen und aufrichtig. Natürlich war sich niemand meiner Empfänglichkeit für attraktive Frauen bewußter als ich.
»Die Philosophie habe ich immer gemieden«, erklärte ich ihr, »aber wer bin ich, daß ich derart feinsinnige Unterscheidungen mit einer solchen Meisterin der Rhetorik diskutiere?«
Endlich lächelte sie. »Genau. Nun, es tut mir leid, daß Gaius Julius nicht hier ist, um mit dir zu sprechen, aber ich bin froh, daß ich dich so endlich kennengelernt habe.« Sie machte Anstalten zu gehen, aber ich wollte nicht, daß sie mich verließ.
»Bitte, bitte«, sagte ich. »Ja?« Sie war so erstaunt wie ich.
»Nun ja.« Ich suchte verzweifelt nach. Worten. »Vielleicht kannst ja auch du mir weiterhelfen. Warst du in jener Nacht dabei?«
»An den Riten der Bona Dea nehmen nur verheiratete Frauen teil. Ich bin nicht verheiratet.«
»Ach so.« Ich war über die Maßen erleichtert zu erfahren, daß sie noch ledig war. »Wie wunderbar. Ich meine, ich bin natürlich nicht glücklich darüber, daß du nicht da warst.« Ich begann, mich erneut
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