Der Friseur und die Kanzlerin
Liebesverhältnis musste auch das Motiv für das Verbrechen gewesen sein. Und auch der entscheidende Faktor, um die Täterschaft zu bestimmen. Hatte der Swami ihn umgebracht? Dazu schien er eigentlich nicht fähig, aber man hat schon seltsamere Dinge gesehen. Zweifellos war er ein charakterschwacher Mann. Befreite ihn das von allem Verdacht? Ganz im Gegenteil: Wenn ihn eine temperamentvolle, beharrliche Verführerin zu der Tat angestachelt hätte, hätte er nicht den Mut gehabt, sich zu verweigern. Hatte es sich so abgespielt, so würden sie sich über kurz oder lang verraten. Wir hatten sie in eine Zwickmühle gebracht, und die Zeit stand auf unserer Seite, aus dem einfachen Grund, als die Toten es nicht eilig haben zu erfahren, wer sie umgebracht hat. Und höchstwahrscheinlich ist es ihnen auch ganz egal.
Komplizierter war die zweite Möglichkeit, nämlich dass Romulus noch am Leben war. Wenn dem so war, so hatten weder seine Frau noch Quesito eine Ahnung, wo er sich befand. Und beide waren zu mir gekommen, damit ich ihnen helfe, ihn aus seinem Versteck zu locken und den Grund für sein freiwilliges Verschwinden herauszufinden. Diese zweite Option passte zu den Besuchen der Unterinspektorin Arrozales – zwei bei mir und einer bei Romulus’ Frau –, die vielleicht glaubte, zwischen Romulus’ Verschwinden und Alí Aarón Pililas unheildrohender Anwesenheit auf unserem Boden könnte es einen Zusammenhang geben. Wenn die Polizei, wie Großvater Lin am Vortag gesagt hatte, nie alles preisgibt, was sie weiß, dann vermutete die Unterinspektorin wahrscheinlich, dass die Person, die sich im Hotel an der Costa Brava mit dem Terroristen unterhalten hatte, niemand anderes war als Romulus der Schöne, und aus diesem Grund hatte sie zuerst mich und dann Lavinia Torrada ausgehorcht, und nun schickte sie mich auf die Spur dieses vermeintlichen Treffens. War etwa, so fragte ich mich mutlos, die Verbindung zu einem internationalen Terrorakt der Coup, den Romulus geplant haben wollte und für den er mich um meine Mitwirkung gebeten hatte? Diese Hypothese würde zwar das Verschwinden erklären, aber was war von dem Brief zu halten, den er Quesito vor seinem Verschwinden noch geschrieben hatte?
Zu viele lose Fäden, um einen Strang daraus zu flechten, dachte ich. Unauffällig stand ich vom Tisch auf, und ebenso unauffällig setzte ich zum Rückzug aus dem Restaurant an. Ich wollte nicht spät zu Bett gehen – der nächste Tag zeichnete sich ebenfalls lang und komplex ab und dazu möglicherweise noch voller unvorhersehbarer Gefahren. Ich stand bereits in der Tür, als ich die Stimme des Juli meinen Namen flüstern hörte.
«Vorhin habe ich dir etwas zu sagen vergessen», sagte er, nachdem ich mich ihm zugewandt hatte. «Heute Nachmittag habe ich den Swami wiedergesehen. Ich meine nicht den Kerl mit dem roten Peugeot, sondern den echten Swami, den mit dem Bart und dem weißen Laken.»
«Du redest irre, Juli», antwortete ich ungeduldig. Und sogleich fügte ich etwas versöhnlicher hinzu: «Aber das macht nichts. Iss die Banane und sag Señor Armengol, er soll sie anschreiben.»
8
ABENTEUER AM MEER
Kaum dass Señor Lin die Pforten des Warenhauses öffnete, sprach ich ihn an und legte ihm ohne Umschweife den Grund für mein frühes Erscheinen dar. Mit breitem Lächeln willigte er ein, mir die fünfzig Euro zur Deckung der Reisekosten und für andere Eventualitäten zu leihen, weigerte sich, wie von mir vorgeschlagen, einen Schuldschein auszustellen, und verzog sein Lächeln erst zu einer kummervollen Grimasse, als er erfuhr, dass ich an diesem Tag wegen höherer Gewalt nicht mit ihnen würde speisen können.
«Das verstimmt mich», sagte er, «und die Verstimmung meiner ehrwürdigen Frau Gemahlin wird eine doppelte sein. Eine große Verstimmung. Neben der Zuneigung, die sie für Sie hat, hält sie Sie für einen echten Kulinarikexperten. Für Sie zu kochen erfüllt sie mit Befriedigung. Aber nach Ihrer Kleidung zu schließen, haben Sie eine wichtige Verpflichtung. Eine Bestattung, wenn ich nicht irre.»
Ich beruhigte ihn. Eigentlich, so sagte ich, wollte ich bloß den Tag in einer wundervollen Enklave an der Costa Brava verbringen und leider hätte ich nur diesen einen Anzug, schwarz und aus Wollstoff. Um mich vor der Sonne zu schützen, verfügte ich über den Hut. Was den angeklebten Schnurrbart betreffe, erklärte ich, so solle er mich unkenntlich machen.
«Das wird Ihnen gelingen, davon bin ich überzeugt», sagte Señor
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