Der Fromme Dieb
nicht über achtzehn.
»Er ist ein großer Dichter und Sänger, ohne Frage. Was ich kann, hat er mich gelehrt. Was Gott mir gegeben hat, ja, das ist mein; doch Rémy hat mir beigebracht, mich dieser Gaben zu bedienen. Sollte es je eine Schuld gegeben haben, so wäre sie damit und mit Essen und Kleidung beglichen, aber es gibt keine. Er ist mir nichts schuldig. Den Preis für mich, den hat er bezahlt, als er mich kaufte.«
Cadfael musterte sie eingehend, um zu ergründen, wie wörtlich dieser letzte Satz zu verstehen war. Sie lächelte ihm zu. »Gekauft, nicht verdingt. Ich bin Rémys Sklavin, und das ist weit besser, als weiterhin dem zu gehören, von dem er mich kaufte. Wußtet Ihr nicht, daß es so etwas noch gibt?«
»Bischof Wulstan predigte schon vor Jahren dagegen«, sagte Cadfael, »und tat alles Menschenmögliche, um es in England, ja, in der ganzen Welt auszumerzen. Und obwohl er die Händler angeklagt hat, weiß ich, daß es das noch immer gibt. Sie treiben ihre Geschäfte von Bristol aus. Im stillen zwar, aber man weiß davon. Dabei werden vor allem walisische Sklaven nach Irland verschifft, doch hier bei uns wird wohl selten Geld durch Menschenhandel verdient.«
»Meine Mutter«, sagte das Mädchen, »ist Beweis dafür, daß der Handel in beide Richtungen geht. Während einer Hungersnot hat ihr Vater sie, eine unnütze Esserin, an einen Händler in Bristol verkauft, der sie an den Herrn eines Landgutes in der Nähe von Gloucester weiterverkaufte. Der benutzte sie bis zu ihrem Tod regelmäßig als Bettgenossin.
Aber nicht in seinem Bett wurde ich gezeugt. Sie verstand es, im Bett eines Mannes zu bleiben, den sie liebte, verstand es, sich die Brut ihres Herrn vom Leibe zu halten«, sagte das Mädchen mit schonungsloser Offenheit. »Aber ich, das steht fest, wurde als Sklavin geboren.«
»Es gäbe vielleicht einen Ausweg«, meinte Cadfael zögernd.
»Einen Ausweg wohin? In eine andere, noch schlimmere Sklaverei? Von Rémy werde ich wenigstens nicht mißbraucht.
Ich werde in gewisser Weise geschätzt, ich darf singen und spielen, auch wenn ein anderer den Ton angibt. Ich besitze nichts, nicht einmal die Kleider, die ich am Leibe trage. Wohin sollte ich gehen? Was sollte ich tun? Wem sollte ich vertrauen?
Nein, ich bin keine Närrin. Fortgehen würde ich zwar, wenn ich einen Ort für mich wüßte, aber das Wagnis eingehen, zurückgebracht zu werden, nachdem ich geflohen bin? Es käme eine andere, weit schlimmere Knechtschaft. Er würde mich wahrscheinlich in Ketten legen lassen. Nein, ich kann warten. Die Dinge können sich ändern«, sagte sie und hob ihre mageren, für ein Mädchen etwas zu breiten und knochigen Schultern. »Rémy ist kein so schlechter Herr. Ich habe schlimmere erlebt. Ich kann warten.«
Wenn man ihre augenblickliche Lage betrachtete, war das eine sehr vernünftige Sichtweise. Ihr provenzalischer Gebieter machte offensichtlich keine Ansprüche auf ihren Körper geltend, und die Art und Weise, wie er ihre Stimme einsetzte, bereitete ihr offenbar große Freude.
Und es ist eine der schönsten Freuden, die Gaben Gottes zu schulen. Er kleidete und ernährte sie. Wenn sie auch keine Liebe für ihn empfand, so war es doch auch kein Haß. Und sie gab sogar gerechterweise zu, daß seine Schulung ihr ein Mittel für ein unabhängiges Leben gegeben habe, sollte sie jemals einen sicheren Ort entdecken, an dem sie dieses führen könnte. Und in ihrem Alter durfte sie sich ruhig ein paar Jahre des Wartens gönnen. Rémy selbst war auf der Suche nach einem mächtigen Mäzen. Am Hofe eines solchen Gönners könnte sie sich eine äußerst bequeme Stellung sichern.
Allerdings, so schloß Cadfael seine praktischen Betrachtungen ab, auch nur als Leibeigene.
»Ich hatte gehofft, von Euch zu hören«, sagte das Mädchen, ihn neugierig musternd, »es gäbe einen Ort, an dem ich Zuflucht finden würde, ohne Verfolgung fürchten zu müssen.
Rémy würde nie wagen, mich bis in ein Nonnenkloster zu verfolgen.«
»Da sei Gott vor!« rief Cadfael eifrig. »Innerhalb von nur einem Monat hättet Ihr jedes Kloster auf den Kopf gestellt. Nein, solch einen Rat würdet Ihr niemals von mir hören. Das ist nicht Euer Weg.«
»Aber es war der Eure«, stellte sie verschmitzt lächelnd fest.
»Und der dieses jungen Tutilo von Ramsey. Oder hättet Ihr auch ihn abgelehnt? Sein Fall ist ganz ähnlich wie der meine.
Ich hasse es, in Knechtschaft zu leben, er haßte es, Knecht im Haus eines widerwärtigen alten
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