Der Fromme Dieb
Dämmerlicht. Cadfael sah ihr nach, bis sie um eine Buchsbaumhecke gebogen war.
Königin Daalny in der Sklaverei, fast so mythisch wie ihre Namensschwester und ebenso gefährlich.
Am Ende der Stunde, die sie sich gegönnt hatte, drehte Donata das Stundenglas auf der Bank neben sich um und öffnete die Augen. Sie hatte sie, solange Tutilo spielte, geschlossen gehalten, um sich in gewisser Weise von ihm fernzuhalten, um ihn von der Last des Anblicks einer verwitterten Frau zu befreien und damit er ungehindert seiner Gabe frönen konnte, ohne Rücksicht auf seine Zuhörerin nehmen zu müssen. Auch wenn es ihr selbst gewiß Freude bereitet hätte, die Augen auf seiner jugendlichen Frische ruhen zu lassen, so wäre es für ihn doch wohl kaum ergötzlich gewesen, ihres ausgemergelten und eingefallenen Gesichts gewahr sein zu müssen. Sie hatte die Harfe aus der Halle in ihre Bettkammer bringen lassen, damit er sie stimmen und bespielen konnte, und hatte zufrieden festgestellt, daß er, den Lockenkopf über das Instrument geneigt, beim Straffen und Korrigieren der Saiten ihre Gegenwart völlig vergessen hatte.
So sollte es sein. Denn so schwanden ihre heftigen Qualen in seiner Musik, während er sich ganz in seiner Glückseligkeit verlor.
Aber länger als eine Stunde konnte sie ihn nicht beanspruchen. Hatte sie doch versprochen, daß er zur Komplet wieder im Kloster sein würde. Sie drehte das Stundenglas um, und augenblicklich brach er ab, und sein leichtes Zusammenzucken ließ die Saiten vibrieren.
»Habe ich falsch gespielt?« fragte er erschrocken.
»Nein, aber Eure Frage ist falsch gestellt«, entgegnete sie trocken. »Ihr wißt, daß Euer Spiel ohne Fehl war. Aber die Zeit verfliegt, und Ihr müßt zurück zu Euren Pflichten. Ihr seid sehr freundlich gewesen, und ich bin Euch dankbar, aber Euer Subprior erwartet Euch, wie ich’s versprochen habe, rechtzeitig zur Komplet. Wenn ich darauf hoffen will, Euch noch einmal kommen lassen zu dürfen, muß ich mich an die Absprache halten.«
»Ich könnte Euch, bevor ich gehe, in den Schlaf singen«, sagte er.
»Ich werde schlafen, macht Euch um mich keine Sorgen.
Nein, Ihr müßt gehen, aber ich möchte, daß Ihr etwas mitnehmt.
Öffnet die Truhe dort – neben dem Psalterium findet Ihr einen kleinen Lederbeutel. Holt ihn mir.«
Er stellte die Harfe beiseite und tat, wie ihm befohlen. Sie löste die Kordel, die den kleinen abgenutzten Beutel zusammengehalten hatte, und leerte den Inhalt auf ihre Bettdecke. Eine Handvoll Schmuckstücke – ein goldenes Collier, ein doppeltes Armband, ein schwerer, edelsteinbesetzter Halsreif, ein massiver Siegelring und ein zierlicherer Damenring mit tiefer Gravur – kam zum Vorschein.
Einer ihrer Finger zeigte noch die blasse Kerbe unterhalb des geschwollenen Knöchels, wo sie ihn einst getragen hatte. Und schließlich kam noch eine große, ringförmige Fibel aus Rotgold, eine sächsische Handarbeit, zutage.
»Nehmt dies und fügt es dem hinzu, was Ihr schon für Ramsey gesammelt habt. Mein Sohn Eudo stellt eine größere Holzladung zusammen, teils Brennholz, teils abgelagertes Bauholz. Er wird den Wagen morgen abend hinunterschicken.
Dies hier aber ist meine Spende. Es ist das Lösegeld für meinen jüngeren Sohn.« Sie steckte das Gold zurück in den Beutel und zog die Kordel fest an. »Nehmt es!«
Tutilo stand zögernd vor ihr und schaute sie unsicher an. »Es bedarf keines Lösegelds. Er hat sein endgültiges Gelübde nicht abgelegt und hatte das Recht, seinen eigenen Weg einzuschlagen. Er ist nichts schuldig geblieben.«
»Sulien wohl nicht, aber ich«, entgegnete sie lächelnd. »Habt keine Bedenken, es anzunehmen. Es gehört mir und stammt von meinem Vater, nicht aus der Familie meines Mannes.«
»Aber hat nicht die Gemahlin Eures Sohnes einen Anspruch darauf?« fragte er eindringlich. »Und das Mädchen, das sich mit Euerm Sulien vermählen wird? Das Geschmeide ist sehr wertvoll, und Frauen lieben so etwas.«
»Ich habe mich mit meinen Töchtern beraten. Wir sind alle einer Meinung. Ramsey soll für meine Seele beten«, sagte sie heiter, »und damit sind alle meine Rechnungen beglichen.«
Noch immer verwundert und zweifelnd gab er schließlich nach, nahm den Beutel an sich und küßte die schenkende Hand.
»Geht jetzt«, sagte Donata und sank seufzend in ihre Kissen zurück. »Edred wird bis zur Fähre mit Euch reiten und das Pony zurückbringen. Ihr solltet den Weg heute abend nicht allein zurücklegen.«
Er
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