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Der Fromme Dieb

Der Fromme Dieb

Titel: Der Fromme Dieb Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ellis Peters
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zurückzukehren, schien ihm die angemessene Belohnung dafür, daß er tagsüber so ergeben nach Herluins Pfeife getanzt hatte.
    Cadfael sah ihn vom Torhaus aus davonreiten, wobei die kindliche Freude des Novizen selbst aus der Entfernung deutlich zu erkennen war; die Freude, daß man sich seiner erinnerte und ihn brauchte, die Freude, ausreiten zu können, wo er sich doch zunächst auf einen gewöhnlichen Abend innerhalb der Klostermauern eingerichtet hatte. Cadfael konnte das verstehen und entschuldigen.
    Sein Gesicht trug noch immer das nachsichtige Lächeln, als er in sein Herbarium trat, um dort verschiedene Heilmittel zusammenzustellen. Und dort, vor der Tür seiner Hütte, wartete ein anderes blutjunges, wenn auch wohl nicht so unschuldiges Wesen auf ihn.
    »Bruder Cadfael?« fragte Rémy de Pertuis’ Sängerin und blickte ihn mit kühnen blauen Augen an, die auf gleicher Höhe wie die seinen waren.
    Sie war nicht hochgewachsen, eher durchschnittlich groß für eine Frau, sehr schlank, fast mager und aufrecht wie eine Lanze. »Bruder Edmund schickt mich zu Euch. Mein Herr und Meister ist erkältet und krächzt wie ein Rabe. Bruder Edmund sagt, Ihr könntet ihm helfen.«
    »So Gott will«, erwiderte Cadfael und musterte sie mit ähnlicher Offenheit. Er hatte sie noch nie aus so geringer Entfernung gesehen und auch gar nicht damit gerechnet, denn sie hielt sich stets abseits, wohl weil sie bei einem so anspruchsvollen Herrn wie dem ihren kein Risiko eingehen wollte. Sie trug keine Kopfbedeckung, und ihr schmales, ovales Gesicht schimmerte zwischen Kaskaden schwarzgelockten Haars.
    »Tretet ein«, sagte er, »und berichtet mir mehr über sein Befinden. Seine Stimme ist ihm natürlich äußerst wichtig. Ein Handwerker, der sein Werkzeug verliert, ist seiner Lebensgrundlage beraubt. Welcher Art ist seine Erkältung? Hat er tränende Augen? Eine verstopfte Nase? Eine glühende Stirn?«
    Sie folgte ihm in die Werkstatt, die dämmrig und nur vom Schein eines Kohlenfeuers erleuchtet dalag, bis Cadfael mit einem Schwefelholz ein Öllämpchen angezündet hatte. Sie betrachtete neugierig die beladenen Regale, die Kräuterbündel, die von den Balken hingen und im Luftzug der Tür leise raschelten.
    »Sein Hals macht ihm Sorgen«, sagte sie gleichgültig. »Er ist heiser, sonst fehlt ihm nichts. Bruder Edmund meint, Ihr hättet Pastillen und Säfte. Wirklich krank ist er nicht«, fügte sie eine Spur herablassend hinzu. »Weder erhitzt noch fiebrig. Bei allem, was seiner Stimme zusetzen könnte, bricht ihm der Angstschweiß aus. Dieselbe Sorge gilt auch meiner Stimme.
    Eins seiner Werkzeuge zu verlieren, kann er sich nicht leisten, so wenig er sich auch sonst um mich sorgt. Bruder Cadfael, stellt Ihr all diese Pastillen und Tränke selbst her?« Tief beeindruckt wanderten ihre weitgeöffneten Augen die Regale mit den Flaschen und Krügen auf und ab.
    »Mir obliegt das Zerkleinern und Mischen«, erwiderte Cadfael. »Die Zutaten liefert die Erde. Ich schicke Eurem Herrn die Pastillen für den Hals und einen Hustensaft, den er alle drei Stunden einnehmen soll. Aber den muß ich erst zubereiten. Es dauert nur wenige Minuten. Setzt Euch ans Kohlenbecken; es wird abends sehr kalt hier.«
    Sie dankte ihm, ohne jedoch Platz zu nehmen. Die vielen geheimnisvollen Gefäße faszinierten sie. Sie strich neugierig, lautlos, katzenhaft hinter seinem Rücken umher, während er aus seinen Tonkrügen Gänsefingerkraut und Andorn, Minze und eine Prise Mohn in eine grüne Glasflasche füllte. Ihre schmale, langgliedrige Hand strich sanft über die Behältnisse mit den lateinischen Aufschriften.
    »Braucht Ihr nichts für Euch selbst«, fragte er, »um Euch vor Ansteckung zu schützen?«
    »Ich erkälte mich nie«, entgegnete sie voll Verachtung für die Schwächen von Rémy und seinesgleichen.
    »Ist er ein guter Herr?« fragte Cadfael unverblümt.
    »Er ernährt und kleidet mich«, antwortete sie ohne Umschweife.
    »Nichts sonst? Das ist er doch schon seinem Pferdeknecht oder Küchengehilfen schuldig. Ihr aber, so höre ich, seid die Stütze seines Rufs.«
    Während er seine Flasche bis zum Rand mit einem honigfarbenen Sirup auffüllte und zustöpselte, wandte sie ihm das Gesicht zu. Und so, Auge in Auge, wirkte sie illusionslos und erfahren, nicht verletzt, doch auf der Hut vor Verletzungen und allzeit bereit, ihnen auszuweichen oder aber ihnen zu begegnen. Und dabei erschien sie ihm jetzt noch jünger, als er anfangs vermutet hatte, gewiß

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