Der Fromme Dieb
Eile um die Hecke seines Kräutergartens bog und so den Weg seines Freundes kreuzte.
»Ah«, rief Cadfael und hielt abrupt inne. »Du bist mir zuvorgekommen, nicht wahr? Der Abt ist gewarnt?«
»So ist es. Du kannst ruhig ein wenig verschnaufen«, sprach Hugh und gönnte sich selbst eine Pause, indem er den Arm um Cadfaels Schulter legte. »Nicht daß wir erAlinen könnten, was uns erwartet. Vielleicht wird es nicht so dramatisch, wie zu befürchten steht, aber es ist besser, gewappnet zu sein. Der untere Teil der Stadt ist bereits überspült. Begleite mich zum Tor; ich habe dich seit Weihnachten kaum zu Gesicht bekommen.«
»Es wird nicht lange andauern«, versicherte ihm Cadfael atemlos. »Bald hoch, bald niedrig. Zwei oder drei Tage werden wir im Wasser waten müssen, weit länger indes wird es dauern, bis alles vom Schlamm und Geröll gesäubert ist. Aber es ist ja nicht das erste Mal.«
»Du solltest dir jetzt schon Gedanken machen, welche Arzneien benötigt werden könnten, und bring sie gleich nach oben ins Infirmanum. Und wate nicht zuviel durchs Wasser, am Ende mußt du noch selbst das Krankenbett hüten.«
»Ich habe schon alles zusammengestellt«, versicherte Cadfael. »Ich will jetzt ein Wort mit Bruder Edmund, dem Krankenpfleger, reden. Zum Glück sind Aline und Giles oben in der Nähe von Saint Mary sicher im Trockenen. Sind sie wohlauf?«
»Gewiß, doch du hast deinen Patensohn schon allzulang nicht mehr besucht.« Hughs Pferd war beim Torhaus angebunden; er griff nach dem Zügel. »Komm doch, sobald der Severn wieder in sein Flußbett zurückgetreten ist.«
»Das will ich tun. Grüß sie von mir und vertröste den Jungen.«
Schon war Hugh im Sattel und auf dem Weg, um den Bürgermeister der Abteivorstadt ausfindig zu machen und sich mit ihm zu beraten.
Und Cadfael raffte sein Habit und begab sich zum Infirmarium. Man würde später die schwereren Wertgegenstände höher lagern müssen, doch seine erste Pflicht war es, sich zu vergewissern, daß er alle etwa erforderlichen Arzneimittel an einem leicht zugänglichen Ort beisammen hatte, außer Reichweite der Wasser, die auf der einen Seite vom aufgestauten Meole-Bach und auf der anderen vom überfüllten Mühlteich langsam hochkrochen.
Das Hochamt wurde an diesem Morgen wie immer ehrfürchtig und ohne Hast abgehalten, das Kapitel aber war nur eine Sache von Minuten, die hauptsächlich dazu dienten, alle notwendigen Arbeiten den geeigneten Gruppen von Brüdern zuzuweisen und eine geordnete und geziemende Bergung sicherzustellen. Zunächst sollten alle Wertgegenstände, die vielleicht über Treppen auf Speicher getragen werden mußten, verpackt, dann aber erst einmal umhüllt an Ort und Stelle gelassen werden. Es war unnötig, sie fortzuschaffen, ehe das steigende Wasser es unumgänglich machte. Vorher gab es andere Dinge, die von den am tiefsten gelegenen Stellen des Klosters weiter nach oben befördert werden mußten, ehe die Flut an die Türen der Kirche spülte.
Da die Klosterställe besonders tief lagen, wurden die Pferde zu den Scheunen und Ställen gleich neben dem Pferdemarkt gebracht, wo genügend Futter vorhanden war, so daß man nicht eigens welches aus den Speichern des Klosters, wo es relativ sicher war, herbeischaffen mußte. Nicht einmal im Frühling nach der Schneeschmelze und nach den heftigsten Regenfällen hatte der Severn bisher die oberen Stockwerke erreicht, und so würde es auch diesmal sein; der Severn hatte entlang seines Laufs genügend Gelegenheit, sich in Senken zu ergießen. An manchen Stellen würden zunächst die Wiesen eine Meile breit oder mehr unter Wasser stehen, ehe die Fluten den Chorraum erreichten. Es war schon vorgekommen, daß im Längsschiff ein Floß – einmal sogar ein kleines Boot – gefahren war. Das war das Schlimmste, was zu befürchten war. Also verpackte man die Truhen und Kisten mit den kostbaren Gewändern, dem Silber, den Kreuzen, den Leuchtern und allem Altarzubehör und den kostbaren kleineren Reliquien der Schatzkammer. Und der silberbeschlagene Reliquienschrein der heiligen Winifred wurde sorgfältig in alte, zerschlissene Vorhänge und Wolldecken gewickelt, aber an seinem Platz gelassen, bis es sich als notwendig erweisen würde, ihn an einen höher gelegenen Ort zu tragen. Und sollte das erforderlich sein, so wäre dies die schlimmste Flut, an die Cadfael sich würde erinnern können, etwas, was sich seit der Überführung der Heiligen nach Shrewsbury noch nie ereignet
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