Der Fromme Dieb
lahmte noch immer, wie sein Diener Bénezet ihn wissen ließ, der für die Pferde verantwortlich war und täglich gelassen durch den überspülten Hof watete, um sie im trockenen Stall beim Pferdemarkt zu versorgen. Die Stallungen im Kloster standen knietief unter Wasser, und daran würde sich in den nächsten Tagen wohl auch nichts ändern. Bénezet empfahl, noch einige Zeit hier zu verweilen, und sein Herr, der an mögliche Behinderungen auf dem Weg nach Chester – teils durch den Severn stromaufwärts, teils durch den unberechenbaren Dee – zu denken schien, hatte keine Einwände vorzubringen. Hier war er im Trockenen und wurde zudem bestens verpflegt. Die Regenfront schien sich allmählich zu entfernen, im Westen riß die Wolkendecke auf, und nur ein oder zwei sporadische Schauer unterbrachen den gewohnten Tagesablauf.
Trotz der Schwierigkeiten wurde das Horarium strikt eingehalten. Der Chor war vom Wasser verschont geblieben und konnte über die Nachttreppe vom Dormitorium aus trockenen Fußes erreicht werden. Der Boden des Kapitelsaals war am ersten und zweiten Tag nur spärlich mit Wasser bedeckt, doch schon am dritten Tag zeugten nur noch die feuchten Fugen zwischen den Steinplatten von der Flut. Das war das erste Anzeichen dafür, daß der Fluß sich wieder in der Gewalt hatte und die überschüssigen Wassermassen davonzutragen vermochte. Nach zwei Tagen hatte sich auch der Rückstau des Meole-Bachs aufgelöst, so daß er sich wieder ungehindert in den Severn ergießen und das Wasser der überfluteten Wiesen und des Mühlteichs aufnehmen konnte, der wiederum die Klostergärten überschwemmt hatte. Auch am Severn-Ufer unterhalb der Stadtmauern fiel der Wasserstand mit jedem Tag und gab den schmalen Streifen mit den kleinen Häusern, Fischerhütten und Bootsschuppen frei, der jetzt mit Schlamm bedeckt und mit Treibgut aller Art übersät war.
Nach einer Woche waren Fluß, Bach und Teich wieder in ihren alten Grenzen, randvoll zwar, aber weiter sinkend. Der Pegelstand im Kirchenschiff hatte nur knapp die zweite Stufe des Altars der heiligen Winifred erreicht.
»Wir hätten sie gar nicht fortschaffen müssen«, sagte Prior Robert kopfschüttelnd. »Unser Glaube hätte tiefer sein sollen.
Sie ist gewiß in der Lage, auf sich selbst und auf ihre Herde achtzugeben. Sie hätte es nur befehlen müssen, und die Wasser hätten sich zurückgezogen.«
Dennoch war ein feuchter, kalter, mit Schlamm und Unrat bedeckter Ort nicht geeignet, eine Heilige zu beherbergen. Und so machten sich die Brüder ohne Murren ans Werk, kehrten, schrubbten und wischten die Pfützen auf, die sich zwangsläufig auf den Unebenheiten des Bodens gebildet hatten. Sie holten die Fackelsteine herbei, alle drei, füllten ihre Decken mit Öl und entzündeten sie, um die Luft zu erwärmen und die zurückgebliebene Feuchtigkeit zu beseitigen. Blütenessenzen, die dem Öl beigemischt wurden, kämpften tapfer gegen den modrigen Geruch des Schwemmwassers an. Auch die Gewölbe, Lagerhäuser, Scheunen und Ställe mußten noch gesäubert werden, aber die Kirche hatte Vorrang. Erst wenn sie wieder vollständig hergestellt war, würden alle Schätze an ihren angestammten Platz zurückgebracht werden.
Abt Radulfus beging die Reinigung des heiligen Ortes mit einer feierlichen Messe. Dann wurde damit begonnen, das Altarzubehör, die Truhen mit den Gewändern und Vorhängen, mit dem Silber und den Leuchtern und den kleineren Reliquien von den trockenen Speichern herunterzutragen. Es verstand sich von selbst, daß alles ausgebessert und auf Hochglanz gebracht werden mußte, bevor der teuerste Schatz, die größte Zierde der Abtei von St. Peter und St. Paul in gebührender Zeremonie an ihren rechtmäßigen, frisch geschmückten Platz zurückgebracht würde.
»Nun«, sprach Prior Robert und richtete sich zu seiner ganzen stattlichen Größe auf, »nun wollen wir die heilige Winifred zurück an ihren Altar holen. Sie wurde, wie ihr wißt, in den Raum über dem Nordportal gebracht.« Die kleine Außentüre an der Ecke des Portals und die Wendeltreppe im Innern, über die man auch unter Anstrengung nur kleinere Truhen tragen konnte, war bis zum höchsten Wasserstand zugänglich geblieben, und man hatte den Reliquienschrein sorgfältig gegen mögliche Schäden gepolstert. »So laßt uns denn ehrfürchtig und in Freuden gehen, um sie zu ihrer Berufung und unserm Segen zurückzuholen in unsere Mitte.«
Prior Robert war immer fest davon überzeugt gewesen, so
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