Der Fromme Dieb
sagte Tutilo. »Er hat uns bei der Bergung der Klosterschätze geholfen.«
»Sein Name ist Aldhelm«, sagte Cadfael knapp, ließ das verschmutzte Gesicht sanft in sein Laubpolster zurücksinken und erhob sich von den Knien. »Er war gestern abend auf dem Weg zu uns, kam aber nie im Kloster an.« Sollte Tutilo das bisher nicht gewußt haben, so erfuhr er es jetzt. Er hörte aufmerksam zu, zeigte aber keine Regung. Er hatte sich in sich zurückgezogen und würde nicht leicht dazu bewegt werden können, wieder aus sich herauszukommen.
»Wollen wir einmal zusammenfassen, was wir bisher feststellen konnten«, sagte Hugh und wandte der schlanken, demütigen Gestalt, die sich so argwöhnisch vom Tatort fernhielt, von dem sie selbst berichtet hatte, den Rücken zu. »Er kam von der Fähre her diesen Pfad herab, und hier, an dieser Stelle, wurde er niedergeschlagen. Schau, wie er gefallen ist!
Eine Elle oder zwei entfernt – dort wo das Unterholz besonders dicht ist – hat ihn jemand von hinten angegriffen, dort links vom Pfad, aus dem Hinterhalt.«
»So sieht es aus«, sagte Cadfael und starrte auf die Büsche, die halb über den Pfad wucherten. »Hier raschelt es, wenn einer entlangläuft, laut genug, um das schnelle Vordringen eines anderen durch das Buschwerk zu übertönen. So, wie er jetzt daliegt, muß er gefallen sein. Kannst du irgendein Anzeichen dafür erkennen, daß er sich noch einmal bewegt hat, Hugh?« Das Erdreich um ihn herum mit dem dichten, feuchten Laub des Vorjahres wies keine Spuren von Krämpfen seiner Beine oder Arme oder von Fußstapfen seines Angreifers auf.
»Als er bewußtlos am Boden lag«, sagte Hugh, »wurde die Tat vollendet. Ohne Kampf, ohne Gegenwehr.«
Mit scheuer, gedämpfter Stimme sprach Tutilo aus dem Schatten seiner Kapuze heraus: »Es hat geregnet.«
»Das hat es wohl«, sagte Cadfael. »Ich habe es nicht vergessen. Seine Kapuze müßte den Kopf demnach noch bedeckt haben. Dies hier – das ist später geschehen, als er schon am Boden lag.«
Der Junge stand immer noch reglos da, den Blick hinab auf den Leichnam gerichtet. Im Schatten seiner Kapuze waren nur die gesenkten Augenlider, der Schwung der Brauen und die sanfte Kontur der Wangen sichtbar. An den mädchenhaft langen Wimpern hingen Tränen.
»Bruder, darf ich sein Gesicht zudecken?«
»Noch nicht«, sagte Cadfael. »Ich muß es mir erst genauer ansehen, bevor wir ihn forttragen.« Zwei von Hughs Beamten warteten mit einer Bahre, auf der die Leiche, je nach Hughs Anweisung, zur Burg oder zur Abtei geschafft werden sollte.
Aus angemessener Entfernung schauten sie stumm und gelassen zu. Sie hatten schon so manches übel zugerichtete Gewaltopfer gesehen.
»Tu, was immer du für notwendig hältst«, sagte Hugh.
»Welcher Stock oder Knüppel auch immer eingesetzt wurde – er wird wohl mit dem Mann, der sich seiner bediente, verschwunden sein. Aber wenn die Leiche des armen Teufels uns irgend etwas erzählen kann, so wollen wir es erfahren, bevor wir sie forttragen.«
Cadfael kniete hinter der Schulter des Toten nieder und betrachtete die klaffende Wunde, in der sich im verkrusteten Blut ganz deutlich weiße Knochensplitter abzeichneten. Die Schädeldecke war unmittelbar über und hinter der linken Schläfe zertrümmert worden – wie es schien mit einem einzigen Schlag, auch wenn Cadfael sich dessen nicht ganz sicher sein konnte. Eine Keule mit einem schweren, abgerundeten Ende hätte eine solche Wunde verursachen können, der entstandene Krater indes war gewaltig und zerklüftet, nicht glatt. Cadfael zog behutsam den Rand der Kapuze hoch und stülpte sie über seine Hand. Die Kapuze war auf der Rückseite gesäumt, und als er mit den Fingerspitzen über den Saum strich, fühlte er einen kleinen Fleck, der klebrig war und schon etwas stockte, und als Cadfael die Hand zurückzog, waren die Kuppen mit halbgetrocknetem Blut verschmiert. Sehr wenig Blut nur, wohl von dem ersten Schlag, der das Opfer durch die Kapuze hindurch traf und niederstreckte. Zudem gab es offenbar nur eine kleine Wunde am Hinterkopf, lediglich die Mittelnaht der Kapuze war geringfügig mit Blut verschmutzt. Cadfael schob die Hand weiter unter den Kopf und strich mit den Fingern durch das dichte rotbraune Haar des Toten, vom Nacken bis zur Rundung des Hinterkopfes, wo diese Naht gesessen und offenbar dazu beigetragen hatte, die Wucht des Hiebes zu dämpfen. Er ertastete eine Abschürfung, die eine feine, fast gänzlich getrocknete Blutspur im Haar
Weitere Kostenlose Bücher