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Der Fromme Dieb

Der Fromme Dieb

Titel: Der Fromme Dieb Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ellis Peters
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haben wir selten das, was man gemeinhin unter Missetätern versteht. Die verriegelte Tür, die dazu bestimmt ist, ihn drinnen zu behalten, hält auch seine Feinde draußen, wenn man denn sagen kann, daß er Feinde hat. Ich habe vor etwa einer halben Stunde nach ihm geschaut; er schlief fest und sah ganz so aus, als würde er bis morgen, noch nach der Prim, weiterschlafen.«
    »Weil er ein reines Gewissen hat«, entgegnete Daalny triumphierend, »so wie ich’s gesagt habe.«
    »Ich würde nicht behaupten, daß er uns immer die reine Wahrheit erzählt hat«, sagte Cadfael sanft, »falls das überhaupt sein Gewissen berührt. Aber ich gönne dem armen Kerl die Ruhe, er kann sie brauchen.«
    Sie tat diese Bemerkung mit einem leichten Achselzucken und der Andeutung eines Schmollmunds ab. »Natürlich ist er ein sehr guter Lügner, das ist Teil der Stärke seiner Einbildungskraft. Man muß ihn schon sehr gut kennen, um zu wissen, wann er lügt und wann er die Wahrheit sagt. Ich weiß, wovon ich rede!« fügte sie herausfordernd hinzu und hielt Cadfaels spöttischem Blick stand. »Ich selbst mußte eine gute Lügnerin sein, um meinen Kopf all die Zeit über Wasser zu halten. Das gilt auch für ihn. Aber einen Mord begehen? Dazu wäre er gar nicht in der Lage.«
    Und immer noch wollte sie nicht gehen, sondern schlenderte rastlos umher, strich mit langen Fingern über seine Regale, streckte die Arme hoch, um die Kräuterbündel, die von den Balken hingen, zum Rascheln zu bringen, und wandte ihm ihre Seite zu. Da gab es noch mehr, was sie in Erfahrung bringen wollte, doch sie wußte nicht, wie sie fragen sollte, oder, besser noch, wie sie es herausfinden konnte, ohne zu fragen.
    »Man wird ihm doch zu essen geben? Man kann ihn schließlich nicht verhungern lassen. Wer kümmert sich um ihn?
    Ihr vielleicht?«
    »Nein«, sagte Cadfael geduldig. »Der Pförtner bringt ihm sein Essen. Aber ich kann ihn besuchen. Und das werde ich auch.
    Wenn Ihr es gut mit ihm meint, Mädchen, dann laßt ihn, wo er ist.«
    »Was bleibt mir sonst übrig«, sagte Daalny bitter. Aber nicht bitter genug, dachte Cadfael bei sich. Eher so, als wollte sie Resignation nur vortäuschen. Sie begann, eigene Träume zu hegen, Träume, denen Taten folgen würden. Sie brauchte sich am nächsten Tag nur auf die Lauer zu legen und sich die Zeiten zu merken, zu denen der Pförtner den Häftling aufsuchte, und mußte nur auskundschaften, wo die beiden Schlüssel im Torhaus nebeneinander hingen. Wales war nicht weit, und an jedem Hof dieses Landes, ob nun groß oder klein, würde eine Stimme wie die Tutilos, solch eine geschickte Hand im Umgang mit den Saiten, leicht Unterschlupf finden. Aber mit dem Makel des Mordverdachts fliehen und immer fürchten müssen, verfolgt und gefaßt zu werden? Nein, lieber alles hier aussitzen und die Wahrheit sagen. Denn Cadfael war sicher, daß Tutilo niemals einem Menschen Gewalt angetan hatte und er nicht mit dieser Schmach fürs ganze Leben befleckt bleiben durfte.
    Das schmale Gesicht angespannt, die Augen halb verschleiert, aber leuchtend unter den langen schwarzen Wimpern, strich Daalny noch immer umher, als wollte sie noch etwas sagen oder fragen. Plötzlich wandte sie sich um und ging zur Tür. Auf der Schwelle sagte sie, ohne den Kopf zu wenden:
    »Gute Nacht, Bruder!« und zog die Tür hinter sich zu.
    Cadfael machte sich zunächst kaum Gedanken über Daalnys Besuch, glaubte er doch, sie könne es nicht so ernst meinen und tatsächlich versuchen, ihren ungeheueren Traum in die Tat umzusetzen. Am nächsten Tag aber, als er sah, wie sie dem Pförtner nachschaute, der kurz vor Mittag, vom Refektorium kommend, zwischen Hospital und Schulzimmer abbog, wo, nahe der Pforte, die auf die Mühle und den Teich führte, die beiden kleinen Steinzellen in die Mauerecke eingefügt waren – da wurde er stutzig. Als er außer Sichtweite war, ging sie über den großen Hof zum Torhaus und, scheinbar ohne einen Blick darauf zu werfen, an der geöffneten Tür vorbei, blieb eine Weile im Torbogen stehen, den Blick auf die Abteivorstadt gerichtet, bevor sie sich umdrehte und ins Gästehaus zurückkehrte. Das Brett mit den Schlüsseln, die der Pförtner verwahrte, hing im Eingang neben der Tür, und mit ihren scharfen Augen konnte sie leicht den Haken ausmachen, der leer war, und, unmittelbar daneben, auch das Gegenstück des fehlenden Schlüssels. Sie waren sich gleich in Größe und Form, wurden aber nicht gleichermaßen gehütet.
    Und

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