Der Fromme Dieb
Shrewsburys Anspruch auf die Heilige bestätigen würden. Er war sich stets der Ironie bewußt gewesen, von einem Reliquienschrein, in dem die Gebeine Winifreds nur drei Tage und Nächte lang geruht hatten, bevor sie ehrfürchtig wieder in ihre Heimaterde in Wales zurückgelegt worden waren, großartige Wunder zu erwarten; und noch erstaunter war er über die grenzenlose Güte, mit der die Heilige über all die Meilen hinweg ihre Gnade hatte zuteil werden lassen und die Anwesenheit eines erbärmlichen menschlichen Sünders in ihrem Sarg verziehen hatte, und wie sie den Glanz des Wunders auf ihrem Altar unsichtbar wirken ließ, unvorhersehbar, aber zugänglich, eine Spur leichtfertig dabei, wo sie gab und wo sie verwehrte, wie es Wunder aber oft sind, wenigstens für das menschliche Auge. Sie war nicht hier, war niemals hier gewesen, nicht mit den Überresten ihres sterblichen Fleisches; und doch hatte sie gewiß zugestimmt, daß ihre Aura hierher gebracht wurde und daß sich ihre Präsenz mit erstaunlichen Wundertaten offenbarte.
»Ja«, sagte Cadfael, »ich glaube, er vertraut darauf, daß Winifred Recht widerfährt. Ich denke, er weiß, daß sie uns niemals wirklich verlassen hat und uns niemals verlassen wird.«
Cadfael machte nach dem Abendessen noch einmal einen letzten Rundgang durch seine Werkstatt, um die Glut im Kohlenbecken zu dämpfen, so daß sie bis zum nächsten Morgen langsam verglimmen würde, und um sich zu vergewissern, daß alle irdenen Töpfe zugedeckt und alle Flaschen und Flakons sicher zugestöpselt waren. Da er um diese Zeit keinen Besuch mehr erwartete, wandte er sich überrascht um, als die Tür hinter ihm leise, fast verstohlen geöffnet wurde und das Mädchen Daalny hereinkam. Im Schein seiner kleinen Öllampe stand sie in höchst ungewöhnlicher Aufmachung da – das schwarze Haar mit einem roten Band verflochten, kleine Locken kunstvoll um die Schläfen arrangiert, das Gewand von tiefstem Blau, wie ihre Augen, und um die Taille ein goldverzierter Gürtel. Sie war sehr schnell von Begriff, bemerkte sogleich den Blick, der sie von Kopf bis Fuß begutachtete, und lachte.
»Das ist meine Tracht bei offiziellen Anlässen. Ich habe vor seiner Lordschaft von Leicester gesungen. Jetzt sind sie im vertraulichen Gespräch, und da habe ich mich davongeschlichen. Man wird mich nicht vermissen. Wenn Rémy geschickt vorgeht, wird er wohl mit Robert Bossu nach Leicester reiten. Ich sagte Euch ja, daß er ein guter Musiker ist.
Leicester würde es nicht zu bereuen haben.«
»Braucht er wieder Medikamente von mir?« fragte Cadfael sachlich.
»Nein. Und ich auch nicht.« Wie schon bei ihrem ersten Besuch lief sie unruhig im Raum hin und her, neugierig, aber gedankenverloren, und es dauerte lange, bis sie zu dem kam, was sie hergeführt hatte. »Bénezet behauptet, Tutilo sei wegen Mordes in Haft genommen worden. Er habe den Mann getötet, den er dazu überreden konnte, Eure Heilige fortzutragen. Das kann gar nicht wahr sein«, sagte sie mit fester Stimme. »In Tutilo ist kein Falsch, keine Gewalttätigkeit. Er träumt. Er handelt nicht.«
»Eine Heilige entwenden – das dürfte wohl etwas mehr als bloße Träumerei sein«, gab Cadfael zu bedenken.
»Er träumte es, ehe er es tat. O ja, er ist in der Lage zu stehlen, das ist etwas anderes. Es war sein innigster Wunsch, seinem Kloster ein großartiges Geschenk zu machen, um seine Visionen in die Tat umzusetzen und gelobt und geachtet zu werden. Ich glaube nicht, daß er für sich selbst stehlen würde, aber für Ramsey, ja, das gewiß. Er fing sogar an, davon zu träumen, mich aus meinem Sklavendasein zu befreien«, sagte sie, nachsichtig lächelnd über die unschuldigen Phantasien eines Knaben. »Aber jetzt habt Ihr ihn irgendwo hinter Schloß und Riegel, ohne Hoffnung auf einen guten Ausgang, egal was geschieht. Wenn Eure Heilige jetzt hierbleibt und wenn Tutilo dem Gesetz des Sheriffs entkommt und mit Herluin nach Ramsey zurückkehrt, wird man ihn für das zahlen lassen, was er lediglich versucht, aber nicht zum Erfolg geführt hat. Sie werden ihn hungern und auspeitschen lassen. Wenn es aber anders kommt und er wegen Mordes verurteilt wird, dann wird er hängen.« Endlich war sie bei dem angelangt, was sie eigentlich wissen wollte: »Wohin habt Ihr ihn gebracht? Ich weiß, daß er Euer Gefangener ist.«
»Er ist in der ersten Büßerzelle, gleich beim Durchgang zum Hospital. Wir haben nur zwei solcher Zellen, denn in unseren Klostermauern
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