Der Fromme Dieb
selbst dieses unauffällige Beobachten könnte nur Teil ihres Wunschtraums sein. Vielleicht würde sie niemals wirklich versuchen, ihn in die Tat umzusetzen. Dennoch sprach Cadfael noch vor dem Abend mit dem Pförtner. Sie würde bis zur Dämmerung oder gar Dunkelheit nichts unternehmen; überflüssig also, noch einmal auszukundschaften, wie Tutilo das Essen zugetragen wurde; sie wußte jetzt, oder glaubte zu wissen, welchen Schlüssel sie benötigte. Der Pförtner brauchte ihn nur noch an den falschen Haken zu hängen und für sie den nutzlosen Zwilling zurückzulassen.
Cadfael beschattete sie nicht; dazu sah er keine Veranlassung, und er war fast überzeugt, daß nichts geschehen würde. Ihre eigene Lage war so gefährdet, daß sie nichts Übereiltes wagen würde. So verstrich der Tag wie jeder andere mit dem üblichen Ritual von Arbeit und Lesen, Studium und Gebeten, wie die Ordensregel es eben vorschrieb. Cadfael verrichtete seine Arbeit um so gewissenhafter, als seine Gedanken zum Teil anderswo weilten, und er empfand seine Geistesabwesenheit als Schuld, obwohl seine Grübeleien um ernste Dinge wie Gerechtigkeit, Schuld und Unschuld kreisten.
Tutilo mußte irgendwie von einer Schmach befreit werden, die er so nicht verdient hatte, ganz gleich, welche Strafen für seine tatsächlichen Missetaten anstanden. Hier, innerhalb des Klosters, bedeutete Gefangenschaft immerhin Sicherheit vor jeder weltlichen Bedrohung. Einmal draußen, wäre er vogelfrei und – sofern nicht jeder Verdacht ausgeräumt war – , allen Härten des Gesetzes ausgeliefert. Und allein schon die Tatsache, daß er auf der Flucht wäre, würde als Beweis für seine Schuld gelten. Nein, er mußte hier bleiben, bis er, von jedem Mordverdacht befreit, seine Zelle würde verlassen können.
Kurz vor der Komplet, nach seinem letzten Rundgang durch den Kräutergarten, sah Cadfael drei Männer durchs Tor hereinreiten. Sulien Blount, selbst auf einem Schecken, führte ein fertig gesatteltes, gedrungenes Pferd am Zügel, hinter sich zwei berittene Diener. Zu dieser dämmrigen Stunde ein unerwarteter Besuch. Während Cadfael den Hof überquerte, um sie zu begrüßen, sprang Sulien schon vom Pferd und redete auf den Pförtner ein. Nur etwas von größter Dringlichkeit konnte die Boten aus Longner so spät hergebracht haben.
»Sulien, was ist los? Was führt dich zu dieser Stunde hierher?«
Sulien wandte sich dankbar zu ihm um. »Bruder Cadfael, ich habe eine Bitte an den Abt zu richten. Vielleicht brauchen wir dazu auch noch ein gutes Wort von diesem Subprior aus Ramsey… Meine Mutter verlangt nach seinem jungen Musiker, Tutilo, den, der schon einmal vor ihr gespielt und gesungen und ihr zum Schlaf verholfen hat. Sie hat große Zuneigung zu ihm gefaßt. Diesmal wird es ein langer Schlaf sein, Cadfael. Sie wird die heutige Nacht nicht überstehen. Und da ist noch etwas, was sie tun möchte und tun muß… Ich habe nicht zu fragen gewagt, was es ist. Auch Ihr hättet das nicht, wenn Ihr sie gesehen hättet…«
»Der Bursche, nach dem du verlangst, ist hinter Schloß und Riegel«, sagte Cadfael bedauernd. »Er wird verdächtigt, ein Verbrechen begangen zu haben, nachdem er vor zwei Nächten bei Lady Donata war. Sie ist ihrem Ende nahe, sagst du? Der Abt wird ihn wohl nur zu ihr lassen, wenn Tutilos Rückkehr gesichert ist.«
»Ich weiß Bescheid«, sagte Sulien. »Hugh Beringar war bei uns, und ich weiß, wie die Dinge stehen. Aber unter Geleitschutz… Ihr seht selbst, wir können ihn gut bewachen und, wenn nötig, in Fesseln zurückbringen. Fragt wenigstens!
Erklärt Radulfus, daß es das letzte Mal sein wird. Die Gnade des Todes hat schon allzulang auf sich warten lassen, aber diesmal, das schwöre ich, ist es das Ende. Radulfus kennt die ganze Geschichte meiner Mutter, er wird Euch anhören!«
»Warte«, sagte Cadfael, »ich will ihn rasch fragen.«
»Aber, Cadfael… vor zwei Tagen? Vor zwei Tagen haben wir nicht nach ihm geschickt.«
Nun, das verwunderte Cadfael nicht sonderlich. Diese Möglichkeit hatte er schon früher in Betracht gezogen. Nein, es wäre zu einfach, zu passend gewesen. Tutilo hatte wohl herausgefunden, was ihn erwartete, und sich rechtzeitig vom Ort des Geschehens entfernt, in der Hoffnung, der Anschuldigung durch den Zeugen zu entgehen. Jetzt spielte es keine Rolle mehr. »Das tut nichts zur Sache«, sagte er. »Warte hier auf mich!«
Abt Radulfus war allein in seinem Empfangszimmer. Den Blick nach innen gekehrt, die
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