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Der Fromme Dieb

Der Fromme Dieb

Titel: Der Fromme Dieb Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ellis Peters
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Krieger ohne Waffen und ohne Rüstung. Er erzählte mir alles, was sie sagte, als sie beschlossen hatte, es mir zu überlassen. Sie sagte, ein Troubadour brauche nur drei Dinge, ein Instrument, ein Pferd und die Liebe einer Dame, und das erste wolle sie mir geben, und die anderen zwei müsse ich selbst finden. Sie ließ sogar neue Plektren für mich schnitzen, gleich mehrere auf Vorrat.«
    Vor kindlichem Staunen war seine Stimme ganz leise geworden, und seine Augen leuchteten, als er sich an ihre schelmische Prophezeiung erinnerte, die eine Zukunft weit weg vom Klosterleben verhieß, weit weg von diesem Leben, das für ihn bereits seinen Glanz zu verlieren begann. Vielleicht hatte sie recht. Sie hatte in ihm nicht ein vergeistigtes Wesen gesehen, sondern ein kräftiges, junges Wesen aus Fleisch und Blut, voll unerprobter Möglichkeiten. Und todgeweihte Männer – und vielleicht mehr noch todgeweihte Frauen – hatten sich schon oft als wahre Orakel erwiesen.
    Aus der Ferne, vom Dormitorium her, war das Läuten der Glocke zur Prim zu hören. Cadfael hob das Psalterium auf und legte es mit gebührendem Respekt auf das kleine Gebetspult.
    »Ich muß gehen. Und Ihr solltet meinen Rat befolgen und schlafen. Vertreibt alle anderen Gedanken aus Eurem Sinn, während wir die sortes Biblicae befragen. Ihr habt der Lady Gutes getan und sie Euch. Mit ihrem Wohlwollen und den Gebeten, die wir anderen für Euch finden mögen, dürften Euch Gnade und Barmherzigkeit sicher sein.«
    »O ja«, sagte Tutilo, und seine müden Augen weiteten sich.
    »Es findet heute statt, nicht wahr? Ich hatte es vergessen.« Ein flüchtiger Schatten huschte über ihn hinweg, konnte ihn aber nicht einschüchtern; er war irgendwie über die Angst um sich selbst hinausgewachsen.
    »Und jetzt könnt Ihr es wieder vergessen«, sagte Cadfael mit bestimmtem Ton. »Gerade Ihr, mehr als jeder andere, solltet der Heiligen, die Ihr so hoch verehrt, vertrauen. Legt Euch nieder und schlaft, und glaubt an die heilige Winifred. Meint Ihr nicht auch, daß sie jetzt empört sein muß, weil sie hin- und hergezerrt wird wie ein Knochen zwischen drei Hunden? Und wenn sie Euch unlängst insgeheim ihren Willen kundgetan hat, warum sollte sie ihn dann heute nicht öffentlich kundtun?
    Schlaft Euch aus, und überlaßt ihr die Entscheidung.«
    Cadfael verbrachte die halbe Stunde zwischen Kapitel und Hochamt in seiner Werkstatt und sortierte die reiche Ernte von Schwarzdornblüten auseinander, entfernte Dornen und Reste von zähen schwarzen Zweigen, als Hugh plötzlich eintrat, um ihm die Früchte seiner Ernte mitzuteilen. Sie war recht mager ausgefallen, aber immerhin hatte der Fährmann ihm einen Hinweis geben können, der sich vielleicht noch als nützlich erweisen würde. »Tutilo ist an jenem Abend nicht nach Longner gegangen. Er hat den Fluß nicht überquert. Das weißt du inzwischen sicher, nehme ich an. Aber der andere arme Teufel hat ihn überquert, und der Fährmann erinnert sich, wann. Der Gemeindepriester in Upton hat einen Diener, der die Familie seines Bruders in Preston einmal die Woche besucht, und genau an jenem Abend ging dieser Bursche zusammen mit Aldhelm, der auf dem Gut arbeitet und im Nachbardorf wohnt, auf der Straße von Upton nach Preston. Ein Schäfer kann vorher nie wissen, wann sein Tagewerk beendet ist, aber der Diener des Priesters verläßt Upton gleich nach der Vesper, und so auch dieses Mal. Er sagt, es müsse kurz vor der sechsten Stunde gewesen sein, als Aldhelm in Preston Abschied nahm, um zur Fähre zu gehen. Von dort aus bis hin zu der Stelle, an der er gefunden wurde – die Überfahrt eingeschlossen – , brauchte er nicht mehr als eine halbe Stunde, eher weniger, wenn er rasch ausschritt, und da es regnete, wird er kaum länger als eben nötig im Regen verweilt haben mögen. Wenn du mich fragst, muß er eine viertel oder halbe Stunde nach der sechsten überfallen und getötet worden sein. Kaum später.
    Wenn dein Bursche uns also sagen könnte, wo er war, als er in Longner vermutet wurde, und, besser noch, wenn er uns einen Zeugen beibringen kann, um es zu bestätigen, so könnte er seinen Hals wohl aus der Schlinge ziehen.«
    Cadfael wandte sich um und warf Hugh einen langen nachdenklichen Blick zu, und durch den Luftzug von der geöffneten Tür her lösten sich ein paar weiße Blütenblätter, die sich im groben Tuch seines Ärmels verfangen hatten, und schwebten hinaus, dem blassen Morgenlicht entgegen. »Wenn das, was du sagst,

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