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Der Fromme Dieb

Der Fromme Dieb

Titel: Der Fromme Dieb Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ellis Peters
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eine Antwort. Für einen, der lange Jahre schon Mitglied einer Bruderschaft war, war der Wortlaut bedeutungsvoll. Kein Fremder, kein Feind, sondern ein Bruder hintergeht einen Bruder.
    Und plötzlich überkam ihn eine kurze Vision – ein junger Mann, der bei Regen im Dunkeln einen schmalen Waldweg hinabeilt, gehüllt in einen grauen Umhang, die Kapuze tief ins Gesicht gezogen. Der Schemen eilte vorüber und war nicht mehr als ein Schemen, kaum wahrzunehmen in der Finsternis, nur schwach erleuchtet durch den schmalen Streifen Himmel zwischen den Bäumen.
    Doch der Schemen war vertraut, ein Mann in einem dunkelgrauen weiten Umhang, den Kopf unter der Kapuze verborgen. War es ein schwarzer Umhang? Was wäre in diesem Fall der Unterschied gewesen?
    Es war, als hätte sich vor ihm eine Tür geöffnet zu einem trüben, aber doch wahrnehmbaren Licht. Ein Bruder, dem Tode ausgeliefert. Was, wenn das stimmte, wenn einem anderen Opfer, nicht Aldhelm, aufgelauert worden war? Niemand außer Tutilo hatte einen bekannten Grund, Aldhelm zu fürchten, und Tutilo, der zwar in jener Nacht jenseits der Klostermauern war, leugnete hartnäckig, den jungen Mann angegriffen zu haben.
    Kleine Einzelheiten waren ans Licht gekommen, die Tutilos Aussage bestätigten. Und Tutilo war in der Tat ein Bruder, der in jener Nacht auf dem besagten Waldweg erwartet werden konnte. In Statur und Alter und bei schnellem Ausschreiten, um dem Regen zu entfliehen, könnte er von einem lauernden Mörder durchaus mit der Gestalt von Aldhelm verwechselt worden sein.
    Der Bruder, der den Bruder in den Tod liefert, so wäre es geschehen, wenn nicht ein anderer Mann vor ihm diesen Weg gegangen wäre. Was aber war mit dem anderen, demjenigen, der den Mord vorhatte? Wenn dieses Orakel den Sinn hatte, den es zu haben schien, hatte das Wort »Bruder« sicher einen doppelten, auch klösterlichen Sinn. Ein Bruder dieses Hauses oder wenigstens des Benediktinerordens. Cadfael kannte niemanden außer Tutilo, der in jener Nacht das Klostergelände verlassen hatte, aber ein Mann, der eine Mordtat plante, würde seine Absichten wohl kaum bekanntgeben oder auch nur jemanden wissen lassen, daß er sich zu entfernen gedachte.
    Jemand innerhalb des Ordens, der Tutilo so haßte, daß er ihn umbringen würde? Prior Robert wäre gewiß nicht bekümmert gewesen, wenn Tutilo für seine Missetat mit seinem Leben hätte zahlen müssen, aber Prior Robert war zusammen mit anderen Zeugen beim Abt zum Essen gewesen. Und außerdem konnte man sich schlecht vorstellen, wie er nachts in feuchten Wäldern lauerte, um einen Dieb mit seinen vornehmen Händen niederzustrecken. Herluin konnte dem Jungen vorwerfen, daß er Ramsey Schande bereitet hatte, freilich weniger dafür, daß er einen Diebstahl ausgeheckt, als vielmehr dafür, daß er ihn verpfuscht hatte. Aber auch Herluin war beim Abt zu Gast gewesen. Und doch hatte sich das Orakel in Cadfaels Gedanken festgesetzt wie ein Dorn seiner Schwarzdornhecken und war nicht mehr daraus zu entfernen.
    Als er sich zu seinem Chorstuhl begab, hallten die Worte in seinem inneren Ohr wider: »Es wird aber ein Bruder den andern zum Tod überantworten«. Es bedurfte all seiner Willenskraft und Konzentration, um den Satz aus seinen Gedanken zu verscheuchen und sich mit Herz und Seele der Zelebrierung der Messe zu widmen.

9. Kapitel
    Nach Ende der Messe, als Bruder Paul und seine Novizen zum Unterricht aufgebrochen und nur die Chormönche als ehrfürchtige Zeugen zurückgeblieben waren, sprach Abt Radulfus ein kurzes Gebet, in dem er um göttliche Führung bat, und ging dann gemessenen Schrittes zum Altar der heiligen Winifred.
    »Mit Verlaub«, ließ sich Graf Robert aus gebührendem Abstand und im sanftesten und zurückhaltendsten Tonfall vernehmen, »wie sollen wir bestimmen, wer als erster das Schicksal befragen soll? Gibt es eine Regel, an die wir uns halten müssen?«
    »Um das zu erfragen, sind wir hier«, entgegnete der Abt schlicht. »Laßt uns von Anfang bis Ende fragen, von Behauptung bis Auflösung, und keine eigenen Beweisgründe oder Vorbehalte geltend machen. So wurde es beschlossen.
    Daran haltet Euch. Ich werde nach der Vorgehensweise fragen, und darüber hinaus will ich Shrewsburys Sache Prior Robert überlassen, der einst die Reise nach Wales angetreten hat, um die heilige Winifred zu finden, und der ihre Reliquien hierherbrachte. Wenn einer von Euch etwas einzuwenden hat, so benennt, wen Ihr wollt. Vater Boniface würde sich sicher nicht

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