Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Fromme Dieb

Der Fromme Dieb

Titel: Der Fromme Dieb Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ellis Peters
Vom Netzwerk:
geplagt, bei dem ihm die Tränen in die Augen schossen. »Ich brauche jetzt mein Bett«, gestand er fröstelnd.
    Das einzige Bett, auf das er derzeit Anspruch hatte, war das in seiner Gefangenenzelle, und doch eilte er dorthin, froh, bald wieder eine verriegelte Tür zwischen sich und der Welt zu haben. Cadfael nahm den Schlüssel vom Pförtner entgegen, der zwischen Sorge und Mitleid schwankte und erleichtert war, einen Häftling, für den er sich verantwortlich fühlte, gehorsam in sein Gefängnis zurückkehren zu sehen. Cadfael führte seinen Schützling hinein und beobachtete, wie dieser dankbar auf seine schmale Pritsche sank, einen Augenblick sitzenblieb und die Tasche mit zärtlicher Sorgfalt neben sich legte.
    »Bleibt noch ein Weilchen«, sagte der Junge schließlich. »Ihr habt sie länger gekannt, ich erst seit kurzem. Wie ist es möglich, daß sie, gepeinigt wie sie war, mich auch nur eines Blickes gewürdigt hat?« Er wartete nicht auf eine Antwort, und es konnte auch keine geben. Aber warum sollte eine Frau, die zu früh für ihr Alter, aber viel zu spät angesichts ihres Leidens starb, nicht Gefallen am plötzlichen Anblick von Jugend, Frische und Schönheit finden, vor allem wegen deren Verletzlichkeit und Hilflosigkeit in einer Welt, die wahrlich nicht gerade sanft zu den Schwachen war?
    »Ihr habt ihr große Freude bereitet. In den letzten Jahren war der Schmerz ihr engster Vertrauter. Ich glaube, sie sah Euch sehr deutlich, besser als manche, die täglich neben Euch leben und ebensogut blind sein könnten. Besser vielleicht, als Ihr selbst Euch seht.«
    »Meine Augen sind so scharf, wie sie sein müssen«, sagte Tutilo. »Ich weiß, was ich bin. Niemand muß ein Engel sein, um wie einer zu singen. Das ist keine Tugend. Man hatte die Harfe, ganz neu besaitet, für mich in die Schlafkammer gebracht. Ich hatte Bedenken, es könnte zu laut für sie werden, dort zwischen den engen Wänden, aber es war ihr Wunsch. Kanntet Ihr sie, Cadfael, als sie jünger war und gesund und schön? Ich spielte eine Weile, und dann warf ich ihr einen verstohlenen Blick zu, weil sie so still war, daß ich glaubte, sie sei eingeschlafen, aber ihre Augen waren weit geöffnet, und Farbe, eine rosige Farbe, war in ihre Wangen gestiegen. Sie sah gar nicht mehr so ausgezehrt und alt aus, und ihre Lippen waren rot und voll und leicht hochgezogen wie zu einem Lächeln, aber es war kein richtiges Lächeln. Ich wußte, sie erkannte mich, obwohl sie kein Wort sagte, kein einziges, die ganze Nacht. Ich habe zuerst einige Hymnen an die Jungfrau gesungen, und dann, ich weiß selbst nicht, warum, es war niemand da, der mir sagte, was ich tun oder lassen sollte, es war die Art, wie sie dalag, ganz ruhig, und wie sie jünger wurde, weil kein Schmerz mehr geblieben war… und dann – habe ich Liebeslieder gesungen. Sie war glücklich. Ich brauchte sie nur anzusehen, und ich wußte, sie war glücklich. Und manchmal stahl sich die Frau des jungen Herrn herein und lauschte ein Weilchen und brachte mir etwas zu trinken, und manchmal auch das Mädchen, das der jüngere Bruder bald heiraten wird. Der Priester hatte Donata schon die Beichte abgenommen. In den frühen Morgenstunden, gegen drei Uhr, muß sie gestorben sein, aber ich habe es nicht gemerkt… ich glaubte, sie sei nur eingeschlafen, bis der junge Sohn hereinkam und es mir sagte.«
    »Sie ist wohl tatsächlich erst eingeschlafen«, sagte Cadfael.
    »Und wenn Euer Gesang sie durch das Dunkel begleitet hat, so war es ein guter Übertritt. Das ist kein Grund, sich zu grämen.
    Sie hat geduldig auf dieses Ende gewartet.«
    »Nicht das war es, was mich erschüttert hat«, sagte Tutilo.
    »Denn seht, was dann geschah. Seht, was ich mitgebracht habe.«
    Er löste den Riemen des Lederbeutels, der neben ihm lag, langte hinein, um mit liebender Sorgfalt das Psalterium herauszuziehen, auf dem er einst in Donatas Schlafkammer gespielt hatte: Der Resonanzboden war poliert, die Saiten glänzten wie neu. Ein gebrochener Stift war durch einen neugeschnitzten ersetzt worden, und es war dreifach bespannt mit neuen Darmsaiten. Er legte das Instrument neben sich, strich über die Saiten und ließ eine Kaskade silbriger Töne erklingen.
    »Sie hat es mir geschenkt. Nachdem sie gestorben war, und nachdem wir für sie gebetet hatten, gab ihr Sohn, der jüngere, es mir, ganz neu poliert, wie Ihr seht. Er sagte, es sei ihr Wunsch gewes en, daß ich es bekomme, denn ein Musikant ohne Instrument sei wie ein

Weitere Kostenlose Bücher