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Der Fromme Dieb

Der Fromme Dieb

Titel: Der Fromme Dieb Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ellis Peters
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Gewebe. Einige hingen in seiner angegrauten Tonsur: Eine Windböe hatte sie von den höheren Zweigen geschüttelt. Dieser Frühlingsschnee weckte Erinnerungen an andere Frühlingstage und darauffolgende Blütezeiten, fast, aber nur fast wie diese, nämlich dann, wenn der Weißdorn sich zu betörender Süße entfaltet und die Sinne trunken macht. Noch vier oder fünf Wochen, und ein noch dichterer Schnee würde die Hecken mit einer weißen Decke überziehen. Der Geruch von Wachstum und Grün lag schon in der Luft, schwer faßbar, aber stetig wie das unablässige Kräuseln des Wassers, des flüsternden Februarwassers, das jetzt fast gänzlich verstummt war.
    Mehr dem Gefühl nach als aus einer Absicht heraus ging er auf den Altar der heiligen Winifred zu und ließ sich mit seinen alten, steifen Knien auf der untersten Stufe nieder, um zu ihr zu sprechen. Er sprach nicht in Worten zu ihr, obwohl er Worte dachte, Worte in walisischer Zunge, ihrer wie seiner Muttersprache. Wohin sie gehörte und wo sie zu sein wünschte, darüber würde sie entscheiden. Was er erbat, war ihr Rat im Falle des Mordes an einem jungen Mann, einem anständigen jungen Mann, der sich mit Liebe und Behutsamkeit seinen Lämmern gewidmet hatte, als ob es die Lämmer Gottes wären, und der niemals einen vorzeitigen Tod verdient hätte, obwohl Gottes Liebe, als der junge Mann fiel, vielleicht eine schützende Hand unter ihn gelegt und ihn ins Licht emporgehoben hatte.
    Und ihren Rat wegen eines anderen jungen Mannes, der einer Tat verdächtigt wurde, die weit außerhalb seines Wesens lag, und der nicht auch noch einen ungerechten Tod sterben sollte.
    Er zweifelte nicht einen Augenblick, daß sie ihn erhörte. Sie würde einem Bittsteller niemals den Rücken zukehren. Doch in welcher Stimmung sie ihm wohl zuhörte, nach allem, was geschehen war, konnte er nicht wissen. Cadfael hoffte und dachte seine Gebete in resignierter Demut, aber immer in gutem Nordwalisisch, dem Walisisch von Gwynedd. Sie mochte aufgebracht sein; sie würde dennoch gerecht sein.
    Als er sich von den Knien erhoben hatte, wobei er sich auf den Rand ihres Altars stützte, der zur Feier ihrer Rückkehr und in der Hoffnung auf ihren weiteren Verbleib frisch geschmückt war, verließ er sie nicht sofort. Die Ruhe hier war zugleich wohltuend und unheilvoll, wie die Stille vor einer Schlacht. Und das Evangelium – nicht das große, kostbar illustrierte Buch, sondern ein kleineres, gedrungeneres, durch selteneren Gebrauch und dünnere Seiten geeigneter, allzu schlauen Fingern zu widerstehen – lag bereits mit ehrerbietiger Präzision genau in der Mitte auf dem silberbeschlagenen Schrein. Er legte die Hand darauf und lenkte alle seine Gebete um Hilfe und Erleuchtung in die Berührung seiner Finger, und plötzlich war er entschlossen, es zu öffnen. Mädchen, weise mir jetzt den Weg, denn ich habe ein Kind in meiner Obhut. Ein Lügner, ein Dieb und ein Gauner, zu all dem hat diese Welt ihn gemacht, bei all seiner Sanftmut, bei all seiner Falschheit. Aber er ist kein Mörder, was immer du sonst von ihm wissen magst.
    Ich bezweifle, daß er mit seinen zwanzig Jahren jemals einer Seele etwas zuleide getan hat. Sag ein Wort zu mir, ein erleuchtendes Wort, damit er seinen Käfig verlassen kann.
    Das Buch des Schicksals lag dort vor ihm. Fast ohne einen bewußten Gedanken legte er beide Hände darauf, hob es auf und öffnete es. Er schloß die Augen, während er es wieder an seinen Platz zurücklegte, es mit seiner linken Hand glattstrich und den Zeigefinger seiner Rechten auf der aufgeschlagenen Seite ruhen ließ.
    Als ihm bewußt wurde, was er getan hatte, verharrte er, ohne einen Finger zu bewegen, vor allem nicht den Zeigefinger, öffnete langsam die Augen und schaute, worauf er deutete.
    Es war das Matthäus-Evangelium, Kapitel 10, und der Finger, der auf Vers 21 ruhte, lag so fest, daß die Seite sich kräuselte.
    Cadfael hatte sein Latein erst spät gelernt, aber diese Stelle war leicht:
    »…es wird aber ein Bruder den andern zum Tod überantworten.«
    Er starrte hinunter auf die Worte, die zunächst keinen Sinn für ihn ergaben, außer daß sie vom Tod sprachen, vom vorsätzlich verursachten Tod, nicht dem ruhigen Abschluß eines Lebens wie dem Ende Donatas. Es wird aber ein Bruder den andern zum Tod überantworten… Es gehörte zur Prophezeiung vom Zerfall und Chaos in den letzten Tagen; in diesem Zusammenhang war es nur ein Detail in einem großen Bild, aber hier war alles, es war

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