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Der Fromme Dieb

Der Fromme Dieb

Titel: Der Fromme Dieb Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ellis Peters
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verhieß. Er hatte die klare Vorstellung von einer Aufgabe, die längst beschlossen worden war und nur noch auf ihre Ausführung wartete. Besser noch, so entschied er, das Unternehmen würde gleich zwei verschiedenen Zwecken dienen. Also begab er sich zuerst in seine Werkstatt, um die Arzneien zusammenzustellen, die im Hospital von Saint Giles, am Ende der Abteivorstadt, zur Neige gingen; vor allem Salben und Wässer gegen Hautausschläge, denn die Obdachlosen, die dort Unterschlupf suchten, litten häufig und meist ohne eigenes Verschulden an den Folgen von Hunger und mangelnder Reinlichkeit. Auch unter der Kälte litten viele, vor allem die Älteren, deren Atem vom ewigen Vagabundieren in den Lungen schnarrte und raschelte wie trockenes Laub. Sein Ränzel schon gefüllt, überlegte Cadfael, welche Pflichten am dringendsten erledigt werden mußten, und schrieb sie sorgfältig nieder, so daß Bruder Winfrid in den morgendlichen Arbeitsstunden zwischen den Andachten wußte, was zu tun war. Nach der Prim ließ er Winfrid zurück, der eifrig mit Graben beschäftigt war, um neuen Kohl zu pflanzen, und holte sich einen Schlüssel beim Pförtner. Am östlichen Ende der Klostermauern, auf der Höhe des Pferdemarktes und auf halbem Weg nach Saint Giles, waren eine große Scheune und ein Stall, in dem die Pferde der Abtei während der Flut untergebracht gewesen waren. Auf diesein Teil der Straße hatte der Wagen aus Longner gewartet, als die Fuhrleute bei der Bergung der Klosterschätze mithalfen, und hier war Tutilo aus dem Tor des Friedhofs getreten, um Aldhelm zurück in die Kirche zu holen und zum ahnungslosen Gehilfen seines gotteslästerlichen Diebstahls zu machen. In der Nacht von Aldhelms Tod hatten hier die beiden jungen Leute, wenn man Daalny Glauben schenken durfte, im Heu auf dem Dachboden Zuflucht gesucht, damit Tutilo nicht dem Zeugen gegenübergestellt und gezwungen werden konnte, die Sünde einzugestehen. Sie hatten nicht gewagt zurückzukehren, bevor sie die Glocke zur Komplet läuten hörten. Zu diesein Zeitpunkt war die Gefahr in der Tat vorüber, denn der unschuldige Mann war bereits tot.
    Cadfael schloß die Stalltür auf und ließ einen Flügel geöffnet.
    In dem nach Stroh duftenden Halbdunkel innerhalb des großen unteren Raums befanden sich Pferdeboxen, die jedoch alle leer waren. Während des mehrmals im Jahr stattfindenden Viehmarkts brachten die Züchter hier ihre Tiere unter, derzeit aber wurde der Stall wenig benutzt. Etwa in der Mitte des langgestreckten Raumes führte eine Holztreppe durch eine Falltür auf den Dachboden. Cadfael stieg hinauf, klappte die Tür zur Seite und kletterte auf den Heuboden, der von Licht aus zwei schmalen Fensterschlitzen erleuchtet wurde. An der hinteren Wand waren Fässer aufgereiht, in einer Ecke verschiedenes Werkzeug, und überall war noch reichlich Heu, denn die letzten beiden Grasernten waren üppig gewesen.
    Die beiden hatten erkennbare Spuren im Heu zurückgelassen. Keine Frage, daß unlängst zwei Menschen hier gewesen waren, die beiden behaglichen Heunester waren noch immer deutlich zu sehen. Aber es waren zwei, und die Tatsache allein ließ Cadfael einen Augenblick nachdenklich verweilen. Nahe genug für Wärme und Vertraulichkeit, aber dennoch getrennt, und zwar so eindeutig, daß sie auch vorsätzlich hätten angelegt worden sein können. Hier hatte kein wildes Kopulieren stattgefunden, vielmehr hatten zwei junge Sünder beisammengehockt, um für diese eine Nacht vor den Schlägen des Schicksals Zuflucht zu suchen, auch wenn sie sicher sein konnten, daß der Schlag am nächsten Tag niedergehen würde. Sie mußten sehr still dagesessen haben, um selbst das Rascheln des Strohs unter ihren Füßen zu vermeiden.
    Cadfael blickte sich nach dem kleinen Gegenstand um, den zu finden er hergekommen war, ohne eigentlich zu wissen, daß er tatsächlich hier war, sondern lediglich davon überzeugt, daß ein wohlwollender Fingerzeig ihn auf diesen Ort hingewiesen hatte. Er hätte fast schon die Hand daraufgelegt, als er die Falltür angehoben und zur Seite geklappt hatte, denn die Kante des soliden Holzquadrats hatte ihn einen Zoll zur Seite geschoben, so daß er zur Hälfte verdeckt war: ein schmales Buch, in grobes Leder gebunden, die Ecken vom vielen Gebrauch und vom Tragen in rauhem Sackleinen abgenutzt.
    Der Junge mußte es hier beim Aufbruch niedergelegt haben, um seine Hände frei zu haben und Daalny die Leiter hinabzuhelfen, und dabei so eifrig mit dem

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