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Der Fromme Dieb

Der Fromme Dieb

Titel: Der Fromme Dieb Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ellis Peters
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Schließen der Falltür beschäftigt gewesen sein, daß er vergessen hatte, sein Buch wieder an sich zu nehmen.
    Cadfael hob es auf und hielt es dankbar in Händen. Ein gelber Strohhalm steckte noch zwischen den Seiten der Komplet. Im Dunkeln konnten sie es nicht gelesen haben, aber Tutilo wußte das Gebet auswendig und hatte es wohl nur der feierlichen Geste wegen aufgeschlagen, als Zeichen, daß sie die Andachtsstunde getreulich eingehalten hatten. Sicher war es leicht, dachte Cadfael, gefährliche Zuneigung zu diesem begabten Schelm zu empfinden – eine bisweilen heitere, oft auch verzweifelte Zuneigung. Vor allem natürlich wegen dieser engelhaften Stimme, die ihm, der ganz gewiß kein Engel war, so großzügig geschenkt worden war.
    Cadfael stand still da, einen Schritt oder zwei von der geöffneten Luke entfernt, als er plötzlich ein Geräusch von unten vernahm. Die Tür stand offen, jemand hatte hereinkommen können, aber er hatte keine Schritte gehört.
    Was er gehört hatte, war das leichte Schaben von rauher Keramik auf rauher Keramik – grobgebrannte Tonerde, ein schwerer Deckel, der von einem großen Vorratsgefäß gehoben wurde. Die durch die leichte Bewegung entstandene Reibung verursachte einen kurzen, schabenden Laut, der einem durch und durch ging.
    Jemand hatte den Deckel des Getreidebehälters abgenommen. Er war gefüllt worden, als die Pferde vom Kloster hierher geführt worden waren, und war nicht wieder geleert worden, da die Flüsse noch immer Hochwasser trugen und die Jahreszeit noch nicht sicher war. Dann noch einmal das gleiche Geräusch, eine leichte Berührung, aber deutlich hörbar, und der Deckel wurde wieder auf das Gefäß gelegt.
    Cadfael trat ein Stück zur Seite, um durch die Luke hinabzuschauen, und unten rief jemand, der ihn bemerkte, fröhlich hinauf: »Ihr hier, Bruder? Erschreckt nicht! Ich hatte nur etwas vergessen, nachdem wir die Pferde hier in den Stall geführt hatten.« Schritte raschelten jetzt deutlich hörbar im Stroh, und Rémys Knecht Bénezet kam in Sicht, der freundlich grinste und einen Zaum hochhielt, dessen Goldverzierung leicht schimmerte. »Von meinem Herrn Rémy! Ich hatte sein Tier zum erstenmal nach draußen geführt, seitdem es lahmte, und das Zaumzeug hier zurückgelassen. Wir brauchen es morgen. Wir sind beim Packen.«
    »Ich hörte es schon«, sagte Cadfael. »Und Ihr brecht in sicherer Begleitung auf.« Er steckte das Gebetbuch in die Brusttasche seiner Kutte und begann vorsichtig, die Leiter hinabzusteigen. Bénezet wartete unten, den Zaum überm Arm.
    »Ich konnte mich rechtzeitig erinnern, wo ich es liegengelassen hatte«, sagte er und strich mit dem Daumen über die kostbare Verzierung auf Kopfteil und Zügel. »Ich habe beim Pförtner nachgefragt, und der sagte mir, Bruder Cadfael habe den Schlüssel mitgenommen und sei hier, und so kam ich, um es zu holen, solange der Stall geöffnet war. Wenn Ihr fertig seid, Bruder, können wir zusammen zurückgehen.«
    »Ich habe noch in Saint Giles zu tun«, entgegnete Cadfael und hob sein Ränzel auf. »Ich schließe ab, wenn Ihr hier nichts mehr zu tun habt, und gehe weiter zum Hospital.«
    »Nein, ich bin fertig«, sagte Bénezet. »Das war alles. Zum Glück konnte ich mich erinnern, sonst wäre Rémys bestes Geschirr auf der Heuraufe dort hinten liegengeblieben, und ich hätte es mit meinem Lohn oder mit meiner Haut bezahlen müssen.«
    Mit einem hastigen Abschiedswort, aber ohne einen Blick zurück, war er schon um die Ecke gebogen. Nicht einmal hatte er zum Getreidebehälter in der dunklen Ecke geschaut. Das Zaumzeug aber hatte er offenbar von der letzten Heuraufe genommen – das hatte er wenigstens mit übertriebenem Nachdruck behauptet.
    Cadfael ging zum Getreidebehälter und nahm den Deckel ab.
    Es lagen Körner auf dem Innenrand und am Fußboden ringsumher. Nicht viele, aber sie waren deutlich zu sehen. Er tauchte beide Arme in das Gefäß, tastete mit den Händen umher, bis seine Fingerspitzen den Boden berührten; die Körner glitten kalt durch seine Finger, ohne freilich etwas Fremdes ans Licht zu bringen. Was immer darin versteckt worden war, mußte so beschaffen sein, daß beim Hervorholen ein paar Körner mit hinausbefördert worden waren. Kein glatter Gegenstand, etwas mit Falten mußte es gewesen sein, in denen sich Getreidekörner verfangen konnten. Stoff?
    Oder war Bénezet nur neugierig gewesen, wieviel Korn noch in dem Behälter übrig war? Ein müßiger Einfall? Menschen taten

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