Der Fromme Dieb
seiner Pritsche Platz. Er wirkte leicht überrascht, sagte aber nichts, sondern wartete ergeben, zu erfahren, was jetzt von ihm verlangt wurde, ganz ohne Furcht, da es ja Cadfael war, den er vor sich hatte.
»Nein, nichts«, sagte Cadfael als Antwort auf den fragenden Blick, »nur die quälende Hoffnung, daß mir in Eurem Bericht vorhin doch irgend etwas entgangen ist. Ein kleines Detail, das sich als nützlich erweisen könnte.«
Tutilo schüttelte langsam den Kopf, willig, aber ratlos. »Nein, mir fällt nichts ein, was ich Euch nicht schon berichtet hätte.
Und alles, was ich Euch gesagt habe, ist wahr.«
»Oh, gewiß«, sagte Cadfael gelassen. »Und dennoch, seid Euch im klaren darüber: Die winzigste Kleinigkeit, etwas, das Ihr für unwichtig haltet, könnte das Körnchen sein, das den Ausschlag gibt. Schon gut, zermartert Euch nicht das Gehirn, vielleicht fällt Euch dann am ehesten etwas ein.« Er blickte sich in der engen, nackten Zelle um. »Ist es hier warm genug für Euch?«
»Wenn ich erst einmal unter die Decke geschlüpft bin, schon«, sagte Tutilo. »Ich habe schon so manches Mal härter und kälter geschlafen.«
»Und es fehlt Euch an nichts? Gibt es keine Kleinigkeit, die ich Euch besorgen könnte?«
»Nach der Ordensregel solltet Ihr mir nichts anbieten«, entgegnete Tutilo, und ein Lächeln huschte über sein Gesicht.
»Aber doch, eine Bitte könnte ich vorbringen, eine, die mir vielleicht sogar zur Ehre gereicht. Ich habe mich an die Gebetsstunden gehalten, hier allein in meiner Zelle, aber manchmal entfällt mir das eine oder andere. Und außerdem würde ich gern lesen, um mir die Zeit zu vertreiben. Selbst Vater Herluin würde es billigen. Könntet Ihr mir ein Gebetbuch bringen?«
»Was ist mit Eurem eigenen geschehen«, fragte Cadfael überrascht. »Ich weiß, Ihr hattet eines, ein kleines, schmales.
Gute Augen braucht man, um die winzige Schrift zu lesen. Aber Eure Augen sind noch jung und scharf.«
»Ich habe es verloren«, sagte Tutilo. »Ich hatte es noch während der Messe, an dem Tag, bevor ich hier eingesperrt wurde. Aber wo ich es liegengelassen oder verloren habe, weiß ich nicht. Es fehlt mir, aber ich kann mich nicht erinnern, was ich damit getan habe.«
»Ihr hattet es noch an dem Tag, als Aldhelm hierher kommen wollte? An dem Tag – oder besser in der Nacht – als Ihr ihn fandet?«
»Ich weiß nur, daß ich es während der Messe noch hatte. Es könnte mir aus dem Ränzel gefallen sein, vielleicht sogar zwischen den Bäumen im Dunkeln, ja, das befürchte ich. Ich habe in jener Nacht, nachdem ich Aldhelm gefunden habe, kaum mehr auf etwas geachtet«, sagte er bedauernd. »Und so, wie ich gerannt bin, den Pfad hinunter und über den Fluß in die Stadt, kann ich es überall verloren haben. Vielleicht liegt es jetzt im Severn. Ich hätte es gern wieder«, sagte er mit ernster Stimme, »und zur Matutin und zur Laudes stehe ich nachts auf!
Ja, das tue ich.«
»Ich lasse Euch das meine hier«, sagte Cadfael. »Und schlaft jetzt, wenn Ihr, wie wir alle, um Mitternacht aufstehen möchtet.
Laßt Eure Lampe bis dahin brennen, wenn Ihr wollt; es ist noch genügend Öl darin.« Er hatte den Bestand in dem kleinen Gefäß mit der Fingerspitze überprüft. »Gute Nacht, mein Sohn!«
»Vergeßt nicht, die Tür abzuschließen«, rief Tutilo ihm nach und lachte ohne eine Spur von Verbitterung.
Sie stand im schwärzesten Dunkel, schlank und reglos und kerzengerade, fest an die Zellenwand gepreßt, als Cadfael um die Ecke bog. Der schwache Schimmer von Tutilos Lampe fiel wie das zarte und gespenstische Funkeln eines Glühwürmchens von hoch oben durch das vergitterte Fenster auf ihr Antlitz und zauberte aus dem tiefen Schwarz die geisterhafte Maske eines Gesichts – oval, schwer faßbar, aber mit scharf gemeißelten Zügen, und das restliche Licht vom westlichen Kirchenfenster ließ ihre Augen funkeln und die silberdurchwirkten Säume aufblitzen wie Diamanten. Sie trug ihr Prachtgewand, denn sie hatte vor kurzem für Robert Bossu gesungen. Eine hagere, bewegungslose, entschlossene Gestalt in der Stille der Nacht. Daalny, Partholans Königin, eine Halbgöttin aus dem westlichen Paradies.
»Ich habe Eure Stimmen gehört«, sagte sie, ihre eigene Stimme kaum mehr als ein Flüstern. Aber flüsternde Stimmen tragen besser als sanft sprechende.
»Ich konnte ihn nicht rufen; jemand hätte uns hören können.
Cadfael, was wird mit ihm geschehen?«
»Nichts Schlimmes, hoffe ich«,
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