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Der Fruehling des Commissario Ricciardi

Der Fruehling des Commissario Ricciardi

Titel: Der Fruehling des Commissario Ricciardi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maurizio de Giovanni
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Maione den Kopf.
    »Nein, Filomena. Unter Freunden, Leuten, die sich mögen, miteinander reden und sich gerne sehen, darf es nichts Ungesagtes geben. Ich muss es wissen, Filomena. Solange diese Sache zwischen uns steht, können wir keine Freunde sein.«
    Filomenas Augen wurden feucht, in Maiones Blick las sie eine Entschlossenheit, die sie darin noch nie gesehen hatte.
    Draußen auf der Straße spielten Kinder mit einem Ball aus zusammengewickelten Lumpen. Eine Frau rief ihren Sohn zum Abendessen. Der Inhalt des Topfs auf dem Herd begann zu kochen.
    Filomena führte eine Hand zu ihrer Narbe und ertastete ihre Konturen. Die Bewegung wurde ihr allmählich zur Gewohnheit.
    »Also gut, Raffaele. Ich möchte Ihre Freundschaft nicht verlieren und spreche nun als Freundin zu Ihnen. Was ich sage, muss unter uns bleiben und darf meine Wohnung, den Ort, wo alles geschehen ist, auf keinen Fall verlassen. Habe ich ihr Wort?«
    Maione nickte. Filomena sah ihm die ganze Zeit über direkt in die Augen.
    »Es war mein Sohn.«
LVIII
    Tata Rosa war überrascht, dass er so frühzeitig nach Hause kam; die letzten Strahlen der untergehenden Sonne tauchten draußen noch die obersten Stockwerke der Häuser in warmes Licht. Mit gebieterischer Miene hatte sie darauf bestanden, seineTemperatur zu prüfen, und ihm ihre schwielige Hand auf die Stirn gelegt.
    Ricciardi verlor keine Zeit mit Diskussionen. Aus leidvoller Erfahrung wusste er, dass Tata Rosa nicht zu bremsen war. Er erklärte ihr, dass er sich sehr wohl fühle, am Abend allerdings noch bis spät würde arbeiten müssen; so gelang es ihm, einer endlosen Litanei über Wollpullover und die Unbilden des Klimas zwischen den Jahreszeiten zu entgehen, nicht allerdings einer Portion in der Pfanne aufgewärmter Makkaroni vom Vorabend.
    Nach dem Imbiss – er rechnete bereits mit dem ersten Sodbrennen – stellte er sich ans Fenster. Gegenüber bei den Colombos, deren Familiennamen er ja jetzt kannte, wurde gerade der Tisch für das Abendessen gedeckt. Er sah Enrica vorbeigehen. Als er sah, dass es ihr gutging, war er erleichtert, doch gleichzeitig deprimierte ihn ihr verdrießlicher und betrübter Ausdruck.
    Ach, hätte er ihr doch sagen können, wie wichtig es für ihn war, ihren täglichen Verrichtungen beizuwohnen, sich die Worte vorzustellen, deren Klang er nicht hörte, ihre ruhigen, gemessenen Bewegungen. Wäre es ihm möglich gewesen, hätte er ihr peinliches Treffen im Polizeipräsidium ungeschehen gemacht. Er kam nicht auf den Gedanken, dass Enricas Gemütszustand seinem eigenen in Art und Ursache sehr ähnlich war.
    Mit der Zeit hatte er gelernt, in jenem Spiegelbild zu leben, da er selbst zu ewiger Gefangenschaft verdammt war.
    Ricciardi dachte an das Unglück, das sich vor etwa einem Jahr im Stockwerk über Enricas Wohnung ereignet hatte: Eine junge Frau, die von ihrem Mann verlassenworden war, hatte sich dort erhängt. Verlorene Liebe, Scham oder Demütigung – wer wusste schon, was sie dazu getrieben hatte? Ein Mann hatte sie als Braut ins Haus hineingetragen, vier Männer trugen sie hinaus, nachdem sie für immer entschlafen war. Die Fenster blieben fortan verschlossen.
    Bevor ihr Geist sich auflöste, war Ricciardi zwei Monate lang jeden Abend Zeuge zweier Szenerien gewesen, die unterschiedlicher nicht sein konnten: Unten das fröhliche und alltägliche Treiben einer Großfamilie; oben die Leiche der jungen Braut, die an der Decke des dunklen Zimmers baumelte. Zwei Gesichter der Liebe, zwei entgegengesetzte Seiten ein und desselben Gefühls.
    Und während Enrica, das Objekt seiner Anbetung, im weichen Licht des Lampenschirms linkshändig stickte, wetterte die tote Frau – mit ihrem durch das Seil unnatürlich in die Länge gezogenen Hals, hervortretenden Augen und angeschwollener, aus dem offenen Mund heraushängender Zunge – gegen den treulosen Bastard, der sie in den Tod getrieben hatte.
    Der Kommissar wusste, dass Enrica ihn in der Dämmerung nicht sehen konnte. Er kam zu dem Schluss, dass ein Mann, dem die Bürde des Todes der anderen wie eine fortwährend blutende Wunde auferlegt war, nicht das Recht hatte, von einem normalen Leben zu träumen – von einem Leben wie dem, welches er von seinem Fenster aus sah. Ein Mann, der nur zusieht, lebt nicht; er kann bloß versuchen, die Dinge ins Reine zu bringen.
    »Der Herrgott ist kein Händler, der seine Schulden samstags zahlt« , hatten Iodices Mutter und Carmela Calise gesagt. Doch früher oder später zahlt

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