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Der Fruehling des Commissario Ricciardi

Der Fruehling des Commissario Ricciardi

Titel: Der Fruehling des Commissario Ricciardi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maurizio de Giovanni
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vorzustellen, als dieser noch nicht von seinem Traum gefangen war und unbekümmert, ja glücklich durch die Straßen der Stadt zog. Doktor Modo hatte recht: Es gibt einen bestimmten Augenblick, in dem man den eigenen Tod festsetzt. Dieser Augenblick ist fast immer vermeidbar. Das Schicksal schreibt nichts vor, es handelt nicht. Es gibt kein Schicksal.
    Der glühend heiße Bissen rutschte in seinen Magen, wo er Ricciardis Hungergefühl zum Schweigen brachte. Mmm, das war lecker. Armer Iodice, arme Kinder, arme Frau. Und erst die bedauernswerte Alte, seine Mutter, die nach dem Sprichwort zu urteilen, das sie zitiert und das ihm völlig neue Blickwinkel eröffnet hatte, sehr wohl ans Schicksal glaubte.
    Er ging ein kurzes Stück die Via Toledo entlang. Die beiden unterschiedlichen Gesichter der Straße traten ganzoffensichtlich zutage: Da standen zum einen die großen alten Herrenhäuser mit ihren hohen Fenstern und langen Balkonen, den dunklen Hauseingängen, die von Pförtnern in Livree bewacht wurden. Illustre Namen und Adelsgeschlechter, ein paar Jahrhunderte Geschichte hatten diese Gegend geprägt. Ricciardi las im Vorbeigehen nur einige der Namen: Della Porta, Zevallos Stigliano, Cavalcanti, Capece Galeota; sie zierten strenge, majestätische Gebäude, die »gute Stube« der Stadt. Kurz dahinter befand sich das Wirrwarr der Quartieri Spagnoli, namenlose Gassen, in denen das Leben von Leidenschaften und Kriminalität bestimmt wurde. Und die Regierung glaubte tatsächlich, dagegen mit ein paar Renovierungsarbeiten anzukommen – als ob ein neuer Platz und schöne Fassaden die Gemüter ändern könnten!
    Die Kinder kamen gerade aus der Schule, ein paar Arbeiter und Geschäftsleute gingen nach Hause. Fast alle Läden waren geschlossen, die Mittagspause ging ihrem Ende zu. Die Luft war voller Frühling.
    Für Ricciardi stank es nach Leidenschaften. Die Calise machte Geschäfte mit Geld und Gefühlen, den Wurzeln jedes Verbrechens. Diesmal allerdings, und das spürte der Kommissar, war es ein Mord aus Leidenschaft gewesen.
    Sein Spaziergang führte ihn an den großen Baustellen vorbei, auf denen zu dieser Uhrzeit nicht gearbeitet wurde. Er betrachtete die schweren weißen Betonblöcke der neuen Gebäude, die wackligen, nicht miteinander verbundenen Holzgerüste. Die beiden vor ein paar Monaten verunglückten Arbeiter waren nur noch als blasse Schatten zu erkennen. Zerstreut bemerkte Ricciardi einen neuen Geist: Rachele, ach Rachele, ich komme zu dir, man hat mich zu dirgestoßen . Seufzend versuchte er, den Satz schnell wieder zu vergessen; er würde ihn ohnehin noch öfter zu hören bekommen. Wer war Rachele? Die Frau des Toten, seine Schwester? Und der arme Kerl, der jemanden an seiner Seite brauchte? War er gestürzt oder gesprungen? Wer konnte das schon wissen? Und war es jetzt noch wichtig?
    Ein Paar kam ihm entgegen: Der Mann hinkte und ging an zwei Krücken, sein linkes Bein war vom Fuß bis zum Knie verbunden. Der Kommissar erkannte Ridolfi, den unglücklichen Witwer und treuen Kunden der Calise. Er unterhielt sich angeregt mit einer unscheinbaren Frau seines Alters, die den Kopf gesenkt hielt und einen Hut mit Schleier trug.
    Bevor der Mann ihn bemerkte, hörte Ricciardi ihn gerade noch sagen: »Auch da hab’ ich gesucht. Weiß der Himmel, wo sie ihn hingetan hat. Recht geschieht’s ihr, dass sie verbrannt ist! Von mir aus kann sie ewig in der Hölle schmoren.«
    Seine Stimme zitterte vor Wut. Als er Ricciardi sah, verwandelte sein Gesicht sich augenblicklich in die übliche, Mitleid heischende Leidensmiene. Dann hielt er sich leicht schwankend nur noch an einer Krücke fest und zog seinen Hut; es wirkte komisch und unbeholfen.
    Dem Kommissar, der die Begrüßung mit einem ausdruckslosen Blick erwiderte, kam kurz der Gedanke, dass auch eine Krücke als Tatwaffe herhalten konnte; und wer mit einer Verstauchung in der Via Toledo spazieren ging, würde es auch bis zu einer Wohnung im Sanità-Viertel schaffen.
    Doch natürlich brauchte auch der Lehrer Ridolfi, so feige und scheinheilig er sein mochte, ein Motiv, um eine Straftat zu begehen.
    Ricciardi drehte sich um und ging denselben Weg zurück; die Zeit drängte und es war noch viel zu tun.

    Maione erwartete den Kommissar vor dessen Bürotür.
    »Da sind Sie ja, Commissario – und, haben Sie gegessen? Lassen Sie mich raten: Pizza? Sie haben’s gut mit Ihrem Magen aus Stahl. Wenn ich eine frittierte Pizza esse, kann ich gleich danach ins Krankenhaus. Ich

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