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Der Fruehling des Commissario Ricciardi

Der Fruehling des Commissario Ricciardi

Titel: Der Fruehling des Commissario Ricciardi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maurizio de Giovanni
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Commissario gefragt hat? Antworten Sie ihm!«
    Die Frau hob langsam den Blick und antwortete dem Brigadiere. Maione merkte, dass Nunzia Ricciardi während der gesamten Befragung nicht ein einziges Mal in die Augen gesehen hatte: Da haben wir es wieder, dachte er, Angst und Abneigung, wie immer.
    »Donna Carmela ... war eine Heilige. Sie half ihren Mitmenschen dabei, ihre Probleme zu lösen.«
    Ricciardi sprach leise.
    »Und wie machte sie das? Wie half Donna Carmela ihren Mitmenschen?«
    Schweigen: Nunzia antwortete nicht. Antonietta, die wohl die Anspannung im Raum spürte, hatte ihr Klagelied unterbrochen, wenngleich sie sich weiter hin und her wiegte und in die Ecke starrte.
    Von der Straße her hörte man einen Freudenschrei der Kinder; jemand hatte wohl in irgendeinem Spiel einen Punkt gemacht. In der Luft gewann ein feiner Blütenduft die Oberhand über das geronnene Blut, nicht allerdings über den Geruch nach Knoblauch und Urin.
    Ganz langsam wandte Nunzia sich Ricciardi zu und fixierte seine grünen, glasklaren Augen.
    »Donna Carmela las die Zukunft aus den Karten.«
XVI
    Doktor Modo kam gegen zwei Uhr am Tatort an; in der einen Hand hielt er ein Taschentuch, mit dem er sich die Stirn abwischte, in der anderen seine Tasche und den Hut unterm Arm.
    »Ich begreife wirklich nicht, warum die Leute sich immer genau so umbringen lassen, dass ich um mein Mittagessen gebracht werde. Gibt’s in dieser Stadt eigentlich keinen anderen Gerichtsarzt?«
    Sobald Maione auf der Treppe das typische Gebrumme des Arztes hörte, ging er ihm entgegen.
    »Hallo, Dottore. Und, haben Sie Neuigkeiten für mich?«
    »Was soll’s denn Neues geben, mein Lieber! Da arbeitetman die ganze Nacht, weil ein paar Dummköpfe beschließen, sich die Schädel einzuschlagen, bloß um festzustellen, dass sie drinnen hohl sind. Und kaum geht man sich ein bisschen ausruhen, kommt Ihr Wachmann und ruft einen hierher. Geben Sie’s nur zu: Das machen Sie doch mit Absicht, oder?«
    »Aber, Dottore, wo denken Sie hin. Ich meinte natürlich die ... die Frau, die ich heute morgen zu Ihnen gebracht habe. Die mit ... na ja, mit dem Schnitt. Wie geht es ihr?«
    »Ach so, von Signora Russo sprechen Sie. Wie soll’s ihr schon gehen, Brigadiere ... die haben sie ruiniert. Ich habe die beste Naht gemacht, die ich konnte, aber sie wird auf der Seite entstellt bleiben. Sogar das Augenlid hat sich gesenkt. Das war vielleicht eine Arbeit, sag’ ich Ihnen, was hab’ ich geschwitzt. Und sie – keinen Mucks hat sie von sich gegeben: Die Hände im Schoß, den Blick nach vorne, ohne zu klagen. Nur einmal ist ihr eine Träne über die Wangen gekullert.«
    »Ist jemand gekommen, um sie zu besuchen, solange Sie da waren?«
    »Nein, niemand. Sie hat mir gesagt, dass sie einen Sohn hat, einen Jungen, der allerdings arbeitet, vielleicht weiß er noch nichts davon. Eine Sünde so etwas, ein wahres Verbrechen: eine so wunderschöne Frau. Und die Stimme erst, Brigadiere ... eine warme und freundliche Stimme. Haben Sie irgendeine Ahnung, wer es gewesen sein könnte?«
    »Nein, noch nicht; aber ich möchte es herausfinden. Haben Sie sie dabehalten, wie ich Sie gebeten habe?«
    »Natürlich, mit so einer hässlichen Wunde fängt man sich ja außerdem auch ruck zuck eine Blutvergiftung ein.Wenn Sie wüssten, was ich alles im Krieg gesehen habe ... nein, sie ist genau da, wo Sie sie abgeliefert haben, zumindest bis heute Abend. Gehen Sie bloß bald hin: Sie wissen ja, dass die Betten knapp sind.«
    In der Zwischenzeit war Ricciardi hinzugekommen.
    »Da haben wir ja unseren Dottore: Lass dir nur Zeit, deine Patientin hat’s nicht eilig.«
    »Ah, Ricciardi, der Fürst der Finsternis. Ich wusste es, wenn ich außerhalb der Dienstzeiten gerufen werde, kannst nur du dahinterstecken, der Mann ohne Privatleben. Ausgerechnet mir musstest du unterkommen. Und dabei hatte ich es überhaupt nicht mehr lang bis zur Rente.«
    »Ach ja, das will ich sehen: Du bist bestimmt eine dieser alten Nervensägen, die einem, nachdem sie in Rente gegangen sind, andauernd zwischen den Füßen herumstehen und ungefragt Ratschläge erteilen.«
    »Da hast du genau recht: Wenn ich in Rente gehe, sage ich endlich alles, was mir auf der Seele liegt. Vielleicht schicken sie mich dann in die Verbannung auf irgendeine nette kleine Insel voller Frauen und ich muss deine garstige Visage nicht mehr sehn, nichts für ungut, Brigadiere.«
    Ricciardi und Modo verband eine merkwürdige und ruppige Freundschaft; der

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