Der Fruehling des Commissario Ricciardi
klappriges Spielzeug.
Maione sah bekümmert drein, als ob man ihn persönlich beleidigt hätte.
»Und weiter? Was ist nach dem ersten Schlag passiert?«
»Noch mehr Schläge: mindestens drei, auf den Kopf, mit demselben stumpfen Gegenstand, vielleicht einem Spazierstock, einem Schirm, keine Ahnung. Dann hat man sie, wie du schon gesehen hast, quer durchs Zimmer getreten. Sie hat mehrere Rippen gebrochen, eventuell ist die Wirbelsäule beschädigt, das weiß ich noch nicht, ich muss nachsehen. Was für ein Hass. Ich kann nicht sagen, wie viele es gewesen sind, dazu muss ich rausfinden, ob die Male auf dem Körper sich gleichen, ich muss sie mit ins Krankenhaus nehmen. Morgen Abend sag ich’s dir.«
»Nein, du sagst es mir morgen früh, ich kenn’ dich doch, alter Bluthund.«
»Das schaff ’ ich auf gar keinen Fall bis morgen früh!«, protestierte der Doktor. »Ich bin auch kein Übermensch! Ein bisschen Schlaf brauch’ ich schon und um nach so einem Tag schlafen zu können, muss ich mich zuerst noch betrinken. Das sind Dinge, die ihre Zeit brauchen.«
»Ja, beschwer’ dich ruhig; du machst es dann ja doch. Du weißt viel zu gut, dass die ersten vierundzwanzig Stunden die wichtigsten sind.«
»In meinem nächsten Leben werde ich Polizist, dann kann ich auch arme Ärzte schikanieren ... schon gut, schon gut, ich tu mein Bestes. Lass sie mir ins Krankenhaus bringen, in ein paar Stunden geh ich auch hin und wir sehen weiter.«
Der Doktor zog murrend seines Weges, ohne sich zu verabschieden; Maione tippte sich an den Schirm der Mütze, die Polizisten grüßten in Habachthaltung. Ricciardi lächelte müde und sagte nichts. Er drehte sich zu der Gestalt mit dem gebrochenen Genick um. »Der Herrgott ist keinHändler, der seine Schulden samstags zahlt« , sagte sie zu ihm. Und dabei machte sie eine kaum merkliche Geste, die ihm zuvor nicht aufgefallen war, eine Art Bewegung des Arms, wie um etwas wegzuschieben.
Ricciardi drehte sich zu der Leiche und vergegenwärtigte sich deren Position vor den Fußtritten. Und er sah wieder den Rand des Teppichs an, die Stelle, die sich etwas weiter weg vom Tisch und nahe dem alten, übel zugerichteten Sofa befand.
Er bückte sich und suchte den Boden ab: Unter dem Sofa lag eine Keksdose. Er streckte die Hand aus und zog sie vorsichtig zu sich heran: Der Deckel stand halboffen. »Le Marie« stand darauf. Maione trat zu ihm, er sah ihm kurz in die Augen. Mit Hilfe eines Taschentuchs öffnete er die Schachtel ganz. Sie war randvoll.
Voll mit Geldscheinen und Wechseln, an denen geronnenes Blut klebte.
XVIII
In Ricciardis Büro im Polizeipräsidium wurden die Schatten im Nachmittagslicht allmählich länger. Maione setzte sich wieder hin, nachdem er den Schalter der Glühbirne umgedreht hatte, die ohne Lampenschirm von der Decke herabbaumelte. Der Schirm war ein Jahr zuvor kaputtgegangen und nie ersetzt worden.
»Dabei hab’ ich’s denen schon hundert Mal gesagt, Commissario, dass sie Ihnen den verflixten Lampenschirm dranmachen sollen. Die scheren sich einen Dreck darum, so sieht’s aus. Bei Gott, ich geh gleich runter und mache sie zur Schnecke.«
»Lass nur, lass gut sein. Ich brauche die Lampe sowieso nicht, ich benutze die Schreibtischleuchte. Lass uns weitermachen, verlieren wir nicht unsere Zeit.«
Zwischen ihnen stand die geöffnete Metalldose, die sie unter dem Sofa gefunden hatten. Auf dem Schreibtisch verteilt lagen Schuldscheine, Wechsel, Schreiben mit Zahlungsversprechen. Sie waren nach Ablaufdatum geordnet gewesen und von Bändern zusammengehalten worden, die mit feinen Schleifchen verknotet waren. Pro Dokument gab es einen Zettel mit der ursprünglichen Summe und gegebenenfalls den Erneuerungen.
Maione arbeitete konzentriert: Er schrieb lange Zahlenreihen auf ein Blatt und führte dabei gewissenhaft die verschiedensten Berechnungen aus. Dabei hatte er die Zungenspitze zwischen die Lippen geschoben und die Stirn vor Anstrengung kraus gezogen.
»Eine schöne Heilige haben wir da, Commissario. Hilft ihren Mitmenschen für runde drei Prozent im Monat. Eine echte Heilige, würde ich meinen. Fast schon eine Märtyrerin.«
»Das ist gar nicht lustig: Bei all diesen ... Kunden kann wirklich jeder sie umgebracht haben. Sieh mal, das werden um die dreißig sein. Was ich mich aber frage: Wieso war das Geld noch da?«
Beide wandten sich den drei kleinen Stapeln mit Banknoten zu, die übereinander auf dem Tisch lagen. Eine schöne Stange Geld – man würde kaum
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