Der Fruehling des Commissario Ricciardi
Kinder.
Maione wandte sich an Nunzia.
»Also, Sie haben die Tote gefunden.«
Die Frau hob den Blick von der Tochter, richtete sich auf, sah den Kommissar stolz an.
»Ja, ich hab’s Ihnen doch schon gesagt.«
»Erzählen Sie mir, wie es sich zugetragen hat.«
»Jeden Morgen, wenn sie aufwacht, bringe ichAntonietta hier nach oben zu Donna Carmela. Sie ist die einzige, die sich um sie kümmert, sie sagt, dass sie ihr Gesellschaft leistet und sie nicht stört. Antonietta bleibt bei ihr und sieht ihr bei der Arbeit zu, und sie gibt ihr manchmal Kekse oder etwas zu essen. Mich freut das, ich hab’ genug zu tun, das große Haus muss versorgt werden, Sie haben keine Ahnung, wie viel Arbeit das ist. Ich bin allein, mein Mann ... der Krieg – er ist in den Norden gezogen und nicht zurückgekommen. Das Kind war gerade ein Jahr alt.«
»Sie haben also das Mädchen heute Morgen hergebracht.«
»Ja, um halb neun. Das weiß ich, weil ich schon mit der Treppe und den Absätzen fertig war und noch das Essen aufstellen musste. Bevor ich losging, um beim Gemüsewagen ein bisschen Grünzeug für die Suppe zu holen, wollte ich sicher sein, dass das Kind keine Angst hat, allein hier zu bleiben.«
»Dann haben Sie also an die Tür geklopft ...«
»Aber woher denn, die Tür von Donna Carmela war schon offen. Sie schließt sie immer morgens auf, wenn sie von der Frühmesse zurückkommt, und dann bleibt sie offen. Hier im Haus sind wir wie eine einzige große Familie, alle kennen sich, da braucht man keine Türen zu verschließen. Hier gibt’s nichts zu befürchten.«
Maione und Ricciardi tauschten einen raschen Blick aus angesichts des offensichtlichen Widerspruchs zwischen der Existenz des Lumpenbündels und der Blutspur am Boden und der Behauptung der Pförtnerin.
Nunzia merkte das und wurde rot, als ob man sie beleidigt hätte.
»Der feige Hund, der das hier getan hat, ist nicht aus unserem Viertel, das kann ich Ihnen gleich sagen, dann sparen Sie sich unnötige Arbeit, und schon gar nicht aus diesem Haus. Donna Carmela war eine Heilige, ja, das war sie, und alle mochten sie. Sie war für alle da, half jedem: Ewig in der Hölle schmoren soll der Dreckskerl, der das getan hat.«
Zwischen zusammengepressten Zähnen, fast mit einem Zischen spritzte der Hass wie Galle aus dem Mund der Frau. Maione und Ricciardi strichen die Pförtnerin, wenngleich nicht vernunftbedingt, so doch vom Gefühl her von der Liste der möglichen Mörder.
Der Brigadiere setzte seine Befragung fort.
»Sie sind dann hineingegangen.«
»Ja, ich wollte ihr guten Tag sagen und Bescheid geben, dass ich die Kleine dalasse. Und dann habe ich das ... das hier entdeckt. Dieses Blutbad, dieses entsetzliche Verbrechen.«
»Wann haben Sie Donna Carmela zum letzten Mal lebend gesehen?«
»Gestern am späten Abend, es mag zehn Uhr gewesen sein. Ich bin mit meiner Tochter hochgegangen, wir haben die Fenster geschlossen, den Kohleofen in der Küche ausgemacht. Das machen wir jeden Abend.«
»Und wie kam Ihnen die Signora vor? Nervös, beunruhigt ... war etwas anders als sonst, ist Ihnen irgendetwas aufgefallen?«
»Nein, nichts. ›Wir seh’n uns morgen‹, hat sie noch zu mir gesagt. Ich bin runtergegangen, ein Stündchen später ist auch Antonietta gekommen. Mehr weiß ich nicht.«
»Wissen Sie, ob Donna Carmela vielleicht Streit mitjemandem hatte, irgendeine Auseinandersetzung? Hat sie sich über etwas beklagt, haben Sie Reibereien mitbekommen ...«
»Nein, wie kommen Sie darauf? Ich sagte Ihnen doch schon und sag’s gern noch einmal, Donna Carmela war eine herzensgute Frau, eine Heilige, und alle mochten sie. Niemand hätte gewagt, sie zu belästigen. Außerdem hatte sie zwei linke Hände, sie war schwach, sie hatte diese Krankheit der alten Leute ...«
»Arthritis?«
»Ja richtig, genau das hatte sie, sie hatte schlimme Schmerzen. Wir hörten sie immer im Schlaf wimmern, im Sommer, bei offenem Fenster. Was soll’s, jetzt sind ihre Leiden beendet«, sagte sie und starrte auf das Lumpenbündel.
Maione wandte sich Ricciardi zu, um zu sehen, ob er noch Fragen hatte.
»Sie sagten: ›Meine Tochter bleibt bei ihr und sieht ihr bei der Arbeit zu.‹ Was arbeitete Donna Carmela denn?«
Überraschenderweise wurde die Frau rot und senkte den Blick, wobei sie ganz plötzlich den stolzen Ausdruck verlor, den sie bis zu diesem Augenblick zur Schau getragen hatte. Es folgte eine lange Stille. Maione schaltete sich ein.
»Sie haben doch gehört, was der
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