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Der Fruehling des Commissario Ricciardi

Der Fruehling des Commissario Ricciardi

Titel: Der Fruehling des Commissario Ricciardi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maurizio de Giovanni
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gewisser Weise allesamt Krankenschwestern.«
    Maione nahm den Hut ab und begann, ihn in den Händen zu drehen. In Filomenas Stimme lag etwas, das ihm jedes Mal ein Schuldgefühl verursachte. Als ob auch er ein wenig verantwortlich wäre für die Verletzung unter dem Verband.
    »Signora, ich weiß, dass Sie nicht gerne darüber reden. Aber ich kann nichts für meinen Beruf: Wenn ich jemanden gesehen habe oder von jemandem weiß, der etwas getan hat wie ... wie das, was Ihnen zugestoßen ist, ist es meine Pflicht zu ermitteln, der Sache auf den Grund zu gehen. Wahrscheinlich haben Sie Angst, dass, wenn Sie mit mir sprechen und etwas aussagen, jemand, na ja, Ihnen oder Ihrem Sohn etwas antun könnte. Ich ... Sie brauchen sich nicht zu sorgen, ich würde nie etwas tun, das Sie in Gefahr bringen würde. Aber wenn jemand etwas Verwerfliches getan hat, muss er dafür bezahlen.«
    Filomena hörte zu und sah dem Brigadiere dabei direkt in die Augen, der seinerseits nicht wusste, wo er hinschauen sollte. In der noch kalten Luft dieses dritten Frühlingsmorgens schwitzte Maione, als ob er einen Vulkan inmitten glühender Lava besteigen würde.
    »Brigadiere, ich danke Ihnen. Aber ich habe es Ihnen schon gesagt und sage es auch noch einmal: Ich möchte niemanden anzeigen. Manchmal kommt es zu ... Situationen, die auf eine bestimmte Art erscheinen, in Wahrheit aber anders sind. Mehr kann ich Ihnen dazu nicht sagen.«
    »Nur falls ... falls Sie ... ich muss Sie das fragen, falls Sie vielleicht ... ein Verhältnis mit jemandem haben, also, na ja, es sind schon Leute vor Eifersucht rasend geworden.«
    Es folgte ein undurchdringliches Schweigen, so dichtwie die Erde über einem Sarg. Draußen, in der weit entfernten Welt, hörte man eine Frau singen. Ein sentimentales Lied über ein Mädchen, schön wie eine Rose im Mai.
    «Nein, ich habe kein Verhältnis, Brigadiere. Seit dem Tag, an dem mein Mann gestorben ist, habe ich niemand anderen kennengelernt. Das war vor zwei Jahren.«
    Diese Stimme. Fest und selbstsicher. Und auch irgendwie weit weg, als käme sie vom Grund des Meeres. Maione schauderte und kam sich vor, als ob er mitten in der Domkirche geflucht hätte, während der Bischof die Hostie hochhielt.
    »Entschuldigen Sie bitte, Signora. Ich wollte Ihnen auf keinen Fall zu nahe treten. Gibt es dann jemanden, der hinter Ihnen her ist, der Sie bedroht? Helfen Sie mir, bringen Sie mich auf die richtige Fährte.«
    »Brigadiere, Sie kommen zu spät zur Arbeit, und ich auch. Ich bin sicher, dass Sie für viel wichtigere Dinge gebraucht werden. Seien Sie unbesorgt: Mir geht es gut. Mir kann nichts passieren. Jetzt nicht mehr.«
    Maione beobachtete sie im Halbdunkel; in Filomenas verächtlichem Blick las er eine absurde Gewissheit, so als ob sie das, was sie sagte, tatsächlich glauben würde. Er seufzte und setzte sich den Hut wieder auf. Er trat einen Schritt zurück.
    »In Ordnung, belassen wir’s vorerst dabei. Wenn Sie es so wollen ... Aber ich werde Sie nicht in Ruhe lassen können, bis ich nicht sicher bin, dass weder Ihnen noch Ihrem Sohn weitere Gefahr droht. Wenn Ihnen noch etwas einfällt, lassen Sie mich einfach rufen, vom Präsidium zu Ihnen sind’s nur fünf Minuten.«
    Er drehte sich um und stieß um ein Haar mit der Frauzusammen, deren Schrei ihn vor zwei Tagen hatte aufhorchen lassen und die ihre Verachtung für Filomena so unmissverständlich zum Ausdruck gebracht hatte. Diesmal hielt sie eine Suppenschale in der Hand und blickte den Brigadiere finster an.
    »Donna Filomena, ich bin’s, Vincenza, darf ich reinkommen? Ich bringe Ihnen eine Tasse Brühe. Brauchen Sie sonst etwas?«
    Maione dachte, dass Blut die Leute manchmal ändern kann. Er deutete einen Gruß an und ging.

    Der Mann, der eben aus der Tür der angrenzenden Kellerwohnung herausgetreten war, fühlte sich, als würde ihm jeden Moment der Kopf platzen. Am Abend zuvor hatte er getrunken. Und an dem zuvor ebenfalls. Billiger Fusel, Rauch, schmutzige Lieder. All das brauchte er, um Schlaf zu finden – ohne jene abscheuliche Sache, die bewirkte, dass er sich am nächsten Morgen so fühlte wie jetzt.
    Dann allerdings, während er zügig zu seiner Arbeit auf der Baustelle ging, fragte er sich, was ihm denn anderes übrigblieb, einem armen Teufel, dem die Frau gestorben war, sollte das Leben für ihn nicht weitergehen? Oder sollte er sich eine neue Frau suchen? Und wer würde ihn schon wollen, einen wie ihn, mit Tochter und ohne Geld in der

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