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Der Fruehling des Commissario Ricciardi

Der Fruehling des Commissario Ricciardi

Titel: Der Fruehling des Commissario Ricciardi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maurizio de Giovanni
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Alle weinten. Er fragte Maione nach dem Grund dafür; der Brigadiere antwortete, dass es unrecht sei, seiner Mutter Kummer zu bereiten.
    Er wandte sich wieder seiner Mutter zu und fragte: Was soll ich tun? Was möchtest du, dass ich tue?
    Doch er sah nur grüne, entgeisterte Augen und ein sanftes Lächeln.
    »Lerne. Sei fleißig in der Schule. Lies alles, bekomme gute Noten. Sei ein braves Kind.«
    Er spürte die Angst eines Jungen und die Beklemmung des erwachsenen Mannes, der er mittlerweile war.
    »Was denn, Mama? Was soll ich lernen? Ich bin erwachsen! Sie lassen mich jetzt nicht mehr zur Schule gehen!«
    Von ihrem Totenbett aus streckte Marta Ricciardi di Malomonte ihre zierliche Hand aus, wie um einen Auftrag zu erteilen.
    Ricciardi wandte sich Maione zu, der ihm ein Heft mit schwarzem Umschlag reichte, das ihm vertraut vorkam. Er nahm es und sah wieder das Bett an. Seine Mutter war verschwunden. An ihrer Stelle lag die alte Geldverleiherin, tot, mit gebrochenem Genick und leerer Augenhöhle, aus der langsam eine Träne schwarzen Blutes floss.
    Draußen in der Nacht war die Brise, die vom Capodimonte her kam, auf der Suche nach neuem Blut, das sie in Wallung bringen könnte.
XXIV
    Auf seinem Weg zur Arbeit machte Maione im Vico del Fico Halt. Wie hätte er es auch lassen können?
    In seinem schlichten Gemüt fiel der Gedanke an Filomena auf fruchtbaren Boden, schlug Wurzeln und trieb aus. Er bekam Blätter, Blüten und Früchte und alle hatten jenes traurige Lächeln, nachtschwarze Augen, einen Verband: wie eine kostbare Münze, die unter das Rad einer Kutsche geraten und von ihm entstellt worden war.
    Maione empfand einen dumpfen Schmerz; sein angeborener Gerechtigkeitssinn verbot es ihm hinzunehmen, dass eine derartige Grausamkeit unbestraft blieb. Derjenige, der sich unterstanden hatte, eine so vollkommene Schönheit, ein Werk Gottes, zu zerstören, verdiente es, mehrere Jahre hinter Gittern zu verbringen, um in Ruhe über seine Schandtat nachzudenken.
    Verliebte er sich etwa gerade? Hätte jemand anders ihn danach gefragt, wäre er fuchsteufelswild geworden. Ein Polizist, der sich einem Verbrechen gegenübersah, egal welcher Art, war verpflichtet, Nachforschungen anzustellen, der Sache auf den Grund zu gehen, den Täter aufzuspüren und zu verhaften.
    Er zog es allerdings vor, sich selbst nicht einzugestehen, dass er angesichts irgendeines der vielen anderen Verbrechen, die Tag für Tag die Straßen der Stadt befleckten, wohl nicht die ganze Nacht über die Decke angestarrt und besorgt den Sonnenaufgang herbeigesehnt hätte. Und er hätte wohl auch nicht so früh das Haus verlassen, noch bevor der Gesang einer Frau, die ihre Wäsche zum Brunnen trug, den ersten Morgenwind begleitete.
    Die Tür der Kellerwohnung im Vico del Fico war offen; die Holzplatte, die den Eingang nachts verschloss, hatte schon jemand weggenommen. Gaetano, Filomenas Sohn, begann seinen Arbeitstag auf der Baustelle nochvor Sonnenaufgang. Maione blieb respektvoll einen Meter vor der Türschwelle stehen; er nahm den Hut ab, setzte ihn sich aber dann nach kurzem Zögern wieder auf. Mit Hut war er der Brigadiere Maione im Dienst; ohne ihn hätte er nicht zu sagen gewusst, was er dort verloren hatte.
    Ein Stockwerk über ihm wurde ein Fenster energisch zugezogen. Er sah hinauf, sah aber niemanden. In dieser Gasse beobachtete und urteilte man, ohne Lärm zu machen. Er ging einen Schritt vor und klopfte leise an den Türpfosten.
    Filomena hatte die Wunde gereinigt und desinfiziert, bevor sie sich anzog und das Mittagessen für ihren Sohn, Brot mit Tomaten, vorbereitete. Sie hatte kein Auge zugetan; es lag an den Schmerzen, dem Warten, den Prüfungen, denen sie ausgesetzt worden war und denen sie noch würde standhalten müssen. An den Schuldgefühlen. Das ausladende und plumpe Profil, das sie in der Türöffnung sah, beunruhigte sie und gab ihr gleichzeitig Sicherheit.
    »Guten Tag, Brigadiere. Bitte kommen Sie doch herein«, sagte sie leise und mit ruhiger Stimme.
    »Signora Filomena«, sagte Maione, wobei er mit der Hand den Mützenschirm berührte und nur einen Schritt nach vorne machte, ohne das Zimmer zu betreten. »Wie fühlen Sie sich? Doktor Modo hat mir gesagt, dass Sie gerne zu ihm kommen können, wenn Sie sich von ihm den Verband wechseln lassen möchten.«
    »Vielen Dank, Brigadiere, aber das kann ich selbst machen. Wenn Sie wüssten, wie oft sich mein Sohn als Kind beim Spielen eine Schramme geholt hat. Die Mütter hier sind in

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