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Der Fruehling des Commissario Ricciardi

Der Fruehling des Commissario Ricciardi

Titel: Der Fruehling des Commissario Ricciardi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maurizio de Giovanni
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ärgerlich.«
    »Ärgerlich?«
    »Natürlich. Sehen Sie, Commissario, jetzt muss ich – und wer weiß, wie viele andere Leute auch – mir jemand anderen suchen, der mir hilft. Und glauben Sie mir«, sagte er zwinkernd, »es ist nicht gerade leicht, das Vertrauen zu jemandem zu bewahren, der einem sagt, was man tun soll.«
    Ricciardi runzelte die Augenbrauen.
    »Wie meinen Sie das, ›was man tun soll‹? Taten Sie das, was die Calise Ihnen sagte?«
    Passarellis linkes Auge zuckte.
    »Freilich, Commissario. Was sollte ich denn sonst da? Und auch noch Geld dafür ausgeben ...«
    »Und wie lange waren Sie schon ... Kunde?«
    »Seit einem Jahr. Ich ging ungefähr einmal pro Woche hin.«
    »Zu welchem Zweck? Ich meine, was für Hinweise erteilte Ihnen die Calise?«
    Passarellis Mundwinkel bewegte sich in Richtung Kragen.
    »Nun ja, also, sehen Sie, Commissario, ich lebe bei meiner Mutter. Damit wir uns nicht falsch verstehen, sie ist eine großartige, außergewöhnliche Frau. Und sie hat nur mich. Also muss ich sie pflegen, was nicht einfach ist, denn sie ist sehr krank, alt, reizbar. Wenn sie ihr Geschrei hören könnten ... es hallt im ganzen Viertel wider.«
    »Ich verstehe. Und was hatte die Calise mit Ihrer Mutter zu tun?«
    »Nun ja, ich bin sehr ordnungsliebend, ich plane gern im Voraus, möchte wissen, was auf mich zukommt, Termine festsetzen.«
    »Ja und?«
    Blinzeln, Zucken.
    »Es wäre mir damit geholfen zu erfahren, wann, ungefähr versteht sich, meine Mutter verscheiden wird. Meine Verlobte – ich habe nämlich eine Verlobte, müssen Sie wissen –, ein nettes und unendlich geduldiges Fräulein, braucht Zeit, um ihre Aussteuer vorzubereiten, die Festlichkeiten, Sie haben ja keine Ahnung, an was da alles zu denken ist. Ich möchte nicht, dass Sie glauben, dass ich den Tod meiner Mutter herbeiwünsche, beileibe nicht. Aber ein wenig Planung ist schon nötig. Dann muss ja noch die Trauerzeit eingehalten werden, bei einer Mutter mindestens zwei Jahre. Und das Haus steckt voller Medikamente, die Einrichtung gefällt meiner Verlobten nicht, es muss hier und da etwas geändert werden. Auch ein Kinderzimmer fehlt noch.«
    An dieser Stelle schaltete sich Maione ein, der sich während des gesamten Verhörs tapfer zurückgehalten hatte.
    »Ach, Sie haben Kinder?«
    Toupet, Mund, zweimal Auge.
    »Nein, aber meine Verlobte und ich hätten gerne eine große Familie.«
    »Und wie alt ist das Fräulein?«
    Auge, Mund, Auge. Kurz darauf ein leichtes Flattern des Toupets.
    »Zwei Jahre älter als ich, zweiundsechzig. Aber sie wirkt noch sehr jugendlich. Ich kann auch nicht in Rente gehen, bevor ... bevor nicht alles in Ordnung gebracht ist.«
    Ricciardi sah Maione vorwurfsvoll an.
    «Und welchen Eindruck hatten Sie von der Calise? War etwas anders als sonst, hat sie etwas gesagt?«
    Passarelli setzte eine nachdenkliche Miene auf, ohne dass seine Ticks jedoch aufhörten.
    »Nein, Commissario, mir ist nichts aufgefallen. Sie war eventuell ein wenig stiller als gewöhnlich. Kein Gruß, nichts, nur der Bericht zu Mutters Tagesablauf. Sie war wirklich unglaublich, wissen Sie, sie sagte mir exakt dasselbe wie der Doktor einen Tag zuvor! Mit meiner Mutter konnte ich natürlich nicht darüber sprechen, sonst hätten wir uns sogar die Kosten für den Arzt sparen können!«
    Ricciardi sah, dass Maione sich zum Fenster gedreht hatte und sein Rücken auf und ab bebte. Er schüttelte den Kopf.
    »Gut, Passarelli, Sie können gehen. Bleiben Sie jedoch verfügbar, wir müssen Sie vielleicht noch einmal befragen.«
XXXVI
    Auf dem Bürgersteig vor der Kirche Santa Maria delle Grazie wimmelte es nur so vor Geschäftigkeit. Die Läden waren noch geöffnet, die Luft war mild.
    Rituccia saß ruhig und würdevoll auf den Stufen zur Kirche. Sie wartete. Wenn man genau hinsah, wurde klar, dass sie nicht bettelte. Dafür hätte sie einen günstigeren Platz gewählt, näher zur Pforte oder an der Straße. Doch das Mädchen befand sich knapp außerhalb des Lichtkegels der Straßenlaterne und abseits der Blicklinie der Passanten. Sie war zwölf Jahre alt, wirkte aber kleiner und wusste, dass es gut so war, denn je weniger sie auffiel, desto besser. Seit dem Tod ihrer Mutter, seit sie als kleines Kind mit ihrem Vater allein geblieben war, war es für sie von Vorteil, unsichtbar zu sein.
    Allein mit dem Vater.
    Trotz der bereits lauen Luft überlief sie ein eiskalter Schauer.
    Sie hatte lange darüber nachgedacht, was zu tun war. Wie man die Probleme

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