Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Fruehling des Commissario Ricciardi

Der Fruehling des Commissario Ricciardi

Titel: Der Fruehling des Commissario Ricciardi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maurizio de Giovanni
Vom Netzwerk:
Signora Passarelli, die Schwiegermutter in spe, dagegen war. Weil sie aber das ganze Geld hat und schon so alt ist, allerdings noch nicht ans Sterben denkt, warten die beiden eben ab.«
    »Und warum hat Passarelli sich von der Calise aus den Karten lesen lassen?«
    »Das ist ja das Drollige: Um zu erfahren, wann seine Mutter sterben wird! Sie ist nämlich seit zwanzig Jahren todkrank. Die Petrone kennt das Dienstmädchen des Doktors, der sie behandelt, so kam sie an die Informationen heran, die die Calise fürs Kartenlesen brauchte. Unglaublich, nicht?«
    »Ich verstehe; gut, lass ihn herkommen. Wen hast du noch?«
    »Eine junge Frau, eine gewisse Colombo. Sie war erst zum zweiten Mal bei der Alten, wegen einer Liebesgeschichte, ich erzähl’s Ihnen gleich. Das Problem haben wir bei der nächsten Kundin, einer hochherrschaftlichen Dame aus Santa Lucia, Emma Serra di Arpaja. Hier wird die Sache ernst, denn sie war eine der Hauptfinanziererinnen des Unternehmens. Die Petrone konnte mir nichts zu ihr sagen, die Calise kam allein mit ihr zurecht. Vielleicht gibt’s auch nichts zu wissen. Ich wollte Sie fragen, was ich tun soll, soll ich auch sie vorladen lassen? Oder ist da mehr Fingerspitzengefühl erforderlich? Ich möchte nicht, dass wir zu viel Staub aufwirbeln und die oberen Etagen gegen uns aufbringen.«
    Ricciardi schnaubte ungeduldig.
    »Wie oft hab’ ich dir schon gesagt, dass ich davon nichts hören will! Wenn wir zu ermitteln haben, tun wir es. Lass sie vorladen wie alle anderen auch. Wenn sie uns dann Knüppel zwischen die Beine werfen, kriegen sie damit eins auf die Rübe. Und der Letzte?«
    »Iodice, ein Pizzabäcker aus der Sanità. Bei ihm sind’s nicht die Karten, er war ein Schuldner. Allerdings ist der Wechsel verschwunden, ich hab’ nachgesehen. Vielleicht hat er bezahlt und ist gegangen, wie es in dem Heft steht.«
    »Oder er hat sie ermordet und den Wechsel mitgenommen. Wir werden sehen. Lass Passarelli vorsprechen.«

    Der Buchhalter Umberto Passarelli glaubte nicht ans Schicksal, was für jemanden, der sich aus den Karten lesen ließ, recht ungewöhnlich war. Er glaubte, dass der Verlauf vieler Ereignisse im Wesentlichen davon abhing, wie einMann die Dinge anging. Und den Rest machte der Tag aus, der entweder gut oder schlecht begann.
    Also beobachtete er sehr aufmerksam, was in der ersten Stunde nach dem Aufwachen geschah, um die unmissverständlichen Hinweise darauf, welche Bedeutung der Tag in seinem Leben einnehmen würde, nicht zu verpassen und sich auf die verbleibenden dreiundzwanzig Stunden mit der gebührenden Skepsis vorzubereiten. Aber nicht immer waren die Zeichen leicht zu deuten.
    An jenem Morgen war er durch ein energisches Klopfen an die Eingangstür geweckt worden: Das bedeutete nichts Gutes – also Pech. Allerdings hatte nur er das Klopfen gehört und seine Mutter friedlich weitergeschnarcht: Glück. Vor der Tür standen zwei Polizisten in Uniform: Pech. Sie waren aber freundlich zu ihm: Glück. Er sollte sich noch am selben Morgen im Polizeipräsidium einfinden: Pech. Immerhin wurde er weder verhaftet, noch lag irgendeine Anschuldigung gegen ihn vor: Glück. Vorläufig, fügten die Polizisten hinzu: Pech.
    Also hatte Umberto Passarelli beschlossen, sich eine Strategie zurechtzulegen, die im Wesentlichen aus Abwarten bestand. Mit einem wohlerzogenen »Sie gestatten?« betrat er sehr behutsam Ricciardis Büro.
    Er war ein kleines, schmächtiges Männlein, dessen angeborene Unruhe sich in mehreren Ticks äußerte: Der auffälligste davon bestand darin, dass er mit dem linken Auge blinzelte und gleichzeitig auf derselben Seite mit dem Mund zuckte; es sah aus, als würde er einem zuzwinkern und sich im selben Augenblick erschrecken. Er trug eine kleine goldfarbene Brille und einen gestärkten Kragen; auf seinen Manschetten waren winzige Tintenflecken zu sehen.
    Ein Toupet thronte akkurat ganz oben auf seinem ansonsten kahlen Haupt. Die leichte Brise, die durchs Fenster hereinwehte, begann sofort, den Mann zu veralbern, indem sie es von Zeit zu Zeit lüpfte. Ricciardi kam die Pfingstprozession in seinem Heimatort in den Sinn, bei der die Darsteller die Ankunft des Heiligen Geistes mittels Stoffstreifen darstellten, die auf ihren Köpfen flatterten.
    Nachdem der Kommissar alle Personalien aufgenommen hatte, fragte er Passarelli, ob ihm der Mord an der Calise bekannt sei.
    »Ja, selbstverständlich, ich habe es in der Zeitung gelesen. Wirklich schade. Das ist sehr

Weitere Kostenlose Bücher