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Der Fruehling des Commissario Ricciardi

Der Fruehling des Commissario Ricciardi

Titel: Der Fruehling des Commissario Ricciardi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maurizio de Giovanni
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zählt überhaupt nicht, nur ihre Qualen als Mutter.«
    Ricciardi schüttelte den Kopf.
    »Ich weiß auch nicht, Raffaele. Vielleicht hast du ja recht. Aber Schmerz lässt sich nicht messen, ich leide mehr als du, du leidest mehr als ich. Schmerz kann doch auch gemeinsamer Schmerz sein. Vielleicht müsst ihr nur abends ein wenig reden. Mich überkommt die Kälte, von der ich gesprochen habe, meistens am Abend. Dann stelle ich mich ans Fenster und atme ein wenig frische Luft. Oder ich stelle das Radio an, höre Musik. Und wenn ich schlafen gehe, hoffe ich, nicht zu träumen.«
    Zwei Stockwerke tiefer auf der Piazza begann jemand,auf seiner Pianola zu spielen. Amapola, süße Amapola. Ein Schwarm Tauben hob zum Flug ab und erfüllte die Luft mit Flügeln. Vom Hafen erklang der Schrei einer Möwe. Maione schaute zum Meer und dachte an seinen Sohn. Ricciardi schaute aufs Meer und dachte an Enrica.
    »Wie dem auch sei, wenn du jemandem zum Reden brauchst, bin ich für dich da. Jetzt sehen wir uns mal diese Liste an.«
XXXV
    Er knetet den Teig, im Geiste sieht er alles wieder vor sich, das Blut, die Leiche am Boden, die Schachtel, sich selbst, wie er darin seinen Wechsel zwischen all den anderen sucht, den Wechsel, den er unterschrieben hatte, als er noch an seinen Traum glaubte.
    Er knetet den Teig, knetet und knetet, rollt ihn aus, versetzt ihm leichte Schläge; die Angst schnürt ihm die Kehle zu, er denkt an die Zukunft. An seine Kinder, seine Frau, seine Mutter, arme Mama, arme alte Frau. An die Schande, das Gerede, die Leute, die sich abwenden würden, wenn sie vorübergingen.
    Er knetet weiter, aus dem Ofen sprühen Funken, die Hitze versengt ihm die Härchen auf den Armen, das Feuer kündet knisternd von der Hölle; seine Blicke wandern vom Lokal zur Tür, dann zu den Köpfen der Passanten, zu den Augen der Leute, die in der Frühjahrsluft vorbeilaufen.
    Ach, wäre dieser Frühling doch nie gekommen! Und hätte er doch bloß nie seinen Wagen aufgegeben!
    Wie viel Blut da gewesen war. Wie viel passte wohl in soeinen kleinen Körper rein? Sogar der Teppich hatte sich verfärbt. Ich hab’ sie gerufen, doch es kam keine Antwort. Zwei Mal sogar. Heilige Mutter Gottes, steh mir bei.
    Als Tonino klein war, kam ein Mann aus seiner Straße wegen Diebstahls ins Gefängnis. Seine Mutter hob immer einen Teil des ohnehin dürftigen Essens für dessen Familie auf, die ja keinen Ernährer mehr hatte; dasselbe taten auch alle anderen im Viertel. Trotzdem durfte niemand mit den Kindern des Diebes spielen. Er würde nie zulassen, dass das seinen Kindern auch passierte. Niemals.
    Sie würden ihn nicht kriegen. Er würde sich nicht fassen lassen.
    Er hörte auf, Sardellen zu schnippeln, und befühlte unter der Theke die lange, scharfe Klinge des Fleischmessers.
    Heute war es soweit. Er spürte es. Doch sie würden ihn nicht kriegen.

    Maione hatte sein Notizbuch hervorgeholt und las gerade seine Aufzeichnungen durch.
    »Ach Herrje, hier soll mal einer was verstehen – dabei hab’ ich’s selbst geschrieben ... An besagtem Tag hatte die Calise nur fünf Termine, weil sie vormittags niemanden empfangen hat. Der Petrone hat sie gesagt, sie habe etwas zu erledigen, und zwar außer Haus. Das kam anscheinend nicht oft vor. Sie kam also zur Mittagszeit zurück und widmete sich ab dem frühen Nachmittag ihren Kunden. Ich habe alle hierher bestellt. Vielleicht kennen Sie jemanden davon? Es sind auch Leute aus Ihrer Gegend mit dabei. Ein gewisser Pasquale Ridolfi kann nicht ins Präsidium kommen; wir müssen zu ihm gehen. Er ist die Treppeheruntergefallen, als er gerade von der Calise kam, und jetzt sitzt er mit Gipsbein zu Hause. Sie erinnern sich doch an die Treppe, oder? Letztes Mal bin ich auch schon ins Straucheln gekommen, zum Glück ist sie so eng, dass ich bei einem Sturz wohl gleich irgendwo stecken geblieben wäre. Dann hätten wir da noch die anderen. Der Erste, der an dem Tag bei ihr war, heißt Umberto Passarelli, er wohnt in Foria, arbeitet als Buchhalter beim Katasteramt.«
    »Was wusste die Petrone über ihn?«
    Maione lachte.
    »Ah, Commissario, diese Geschichte ist wirklich sehr pikant. Also: Passarelli ist sechzig Jahre alt. Er lebt bei seiner Mutter, die siebenundachtzig Jahre alt ist, alles normal soweit. Der Mann ist seit seinem zwanzigsten Lebensjahr mit einem gewissen Fräulein Liliana verlobt, die im selben Viertel wohnt. Seit vierzig Jahren verlobt, stellen Sie sich das vor! Und warum haben sie nie geheiratet? Weil

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