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Der Fruehling des Commissario Ricciardi

Der Fruehling des Commissario Ricciardi

Titel: Der Fruehling des Commissario Ricciardi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maurizio de Giovanni
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starrten ins Leere, die Hände lagen kraftlos auf der Schreibtischplatte, sein Gesicht war blutleer.
    Maione machte einen halben Schritt nach vorn, hüstelte kurz, sagte etwas von wegen Toilette und ging mit gesenktem Kopf hinaus.
    Ricciardi konnte es nicht glauben. So oft schon hatte er sich ein mögliches Treffen mit ihr ausgemalt, auch wenn ihn der Gedanke daran zu Tode erschreckte. Wie hatte ernur so idiotisch reagieren können? Er, ein Mann, der es gewohnt war, jeden Tag mit Tod und Untergang konfrontiert zu sein, war nicht in der Lage gewesen, ein paar Minuten lang ein normales Gespräch zu führen. Und jetzt war sie gegangen, gekränkt und zornig, und dachte von ihm nur das Schlechteste.
    Er war verzweifelt.
    Enrica ging schnell die Via Toledo in Richtung Santa Teresa hinauf; duftende Luft wehte ihr entgegen und schien sich über ihre Beklemmung lustig zu machen.
    Sie war verzweifelt.
    Mit allem hätte sie gerechnet, nur nicht, sich ihm gegenüber wiederzufinden; er war also Polizeikommissar. Wie hätte sie ihm jetzt noch erklären können, dass sie nicht so aggressiv war, wie sie sich ihm gegenüber benommen hatte? Wie dumm von ihr, wie entsetzlich dumm. Sie hatte sich hinreißen lassen von ihrem Ärger, ertappt worden zu sein. Und zu allem Übel war sie auch noch gekleidet wie eine Lazarettschwester im Krieg.
    Kein Lächeln, kein einziges nettes Wort hatte sie zustande gebracht, das ihm Gelegenheit zu einer Einladung gegeben hätte. Schlimmer noch: Um nicht als leichtgläubige Romantikerin dazustehen, war ihr nichts Besseres eingefallen als ein gesundheitliches Problem. Jetzt würde er glauben, es mit einer Kranken zu tun zu haben, vielleicht gar mit einer Schwindsüchtigen, und sich abends nicht einmal mehr ans Fenster stellen. Wie dumm sie sich benommen hatte!
XXXVIII
    Als Maione zurückkam, war Ricciardi wieder ganz der Alte. Undurchdringlich, gefasst, nachdenklich. Vielleicht bloß ein wenig trauriger.
    »Gut, Maione, machen wir weiter. Dieser Tag ist schwieriger, als ich erwartet hätte. Wer kommt jetzt?«
    Der Brigadiere zog sein Notizbuch zurate.
    »Also: Als nächsten haben wir Antonio Iodice, einen Pizzabäcker aus der Sanità, er hat sich bei der Alten Geld geliehen. Seine Geschichte ist die: Iodice hatte einen Pizzawagen, einen von der Sorte, an denen Sie oft zu Mittag essen, und sein Geschäft lief ganz gut. Der Bursche war ein Arbeitstier, stets gut gelaunt und auch bei schlechtem Wetter unterwegs. Dann hat er ein Lokal eröffnet; er hat den Laden eines Hufschmieds übernommen, der seinen Betrieb aufgegeben hat, und sich das Geld von der Calise geliehen. Allerdings lief ’s wohl nicht so gut, laut Petrone war ihm die Zahlungsfrist schon zwei Mal verlängert worden und an dem Abend hätte er auf jeden Fall bezahlen müssen.«
    Der Kommissar wirkte zerstreut.
    »Und hat er bezahlt? Hast du in der Schachtel nachgesehen?«
    »Ja, Commissario, ich hab’s noch einmal überprüft, wie ich Ihnen – glaube ich – schon sagte; es gibt darin kein Papier, das auf seinen Namen lautet. Verzeihen Sie, Commissario, wenn ich frage, aber sind Sie sicher, dass es Ihnen gut geht? Nur weil, na ja, Sie haben ja nie eine wirklich gesunde Gesichtsfarbe, aber heute sehen Sie aus wie tot, so blass sind Sie. Wenn Sie möchten, brechen wir das Ganze ab und gehen morgen wieder an die Arbeit. Die Calise wird’s kaum eilig haben.«
    »Ich sehe aus wie tot, sagst du? Nein, glaub’ mir, dazu fehlt noch ein bisschen. Vielleicht bin ich nur ein wenig müde. Sieh doch mal nach, ob dieser Iodice schon da ist. Machen wir weiter.«

    Während er noch am Fenster stand und darüber nachdachte, wie er vorgehen sollte, sich fragte, was wohl am besten zu tun sei, tauchten am Ende der Straße die beiden Polizisten auf. Wie zwei graue Insekten sah er sie inmitten der bunten Schar aus fliegenden Händlern, Frauen und Kindern näherkommen, die in Santa Lucia spazieren gingen, um zum ersten Mal in diesem Jahr Meeresluft zu schnuppern.
    Er wusste sofort, warum sie da waren. Sie waren seinetwegen gekommen. Selbstverständlich hatten sie die Spuren entdeckt, die er in seiner Arglosigkeit gewiss zurückgelassen hatte. Er lächelte angesichts der Ironie des Schicksals. Wie ein Dilettant hatte er sich benommen. Er, der bekannteste Strafanwalt der Stadt, Professor an der angesehensten juristischen Fakultät Italiens, der Schrecken aller Richter, den man bei Gericht »den Fuchs« nannte, erwischt und festgenagelt. Und warum? Aus Liebe.
    Denn

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