Der Fruehling des Commissario Ricciardi
zurückkehren.
Maione und Ricciardi begaben sich zwecks Berichterstattung zu ihrem Vorgesetzten, nicht ohne dass ihnen die Vorstellung von Garzos Gesichtsausdruck ein klein wenig Schadenfreude bereitet hätte.
In gewisser Weise wurden sie enttäuscht. Als sie Teresas Geschichte zu Ende erzählt hatten und Maione die Schuhe des Professors so ehrfürchtig vorzeigte, als ob es sich um die Ampulle mit dem Blut des heiligen Gennaro handle, legte der Vizepräsident seinen Kopf auf das unberührte Tuch über seiner Rückenlehne und schloss die Augen. Man hätte fast meinen können, er schlafe, wären da nicht der beunruhigende rote Fleck auf seinem Hals und sein vollkommen blutleeres Gesicht gewesen.
Nach einer Minute etwa öffnete er die Augen wieder und lächelte.
»Es ist nicht gesagt, dass er es war.«
»Was soll das heißen, Dottore, ›Es ist nicht gesagt, dass er es war‹? Das Dienstmädchen hat doch genau erklärt, wie und warum alles passiert ist, und dann auch noch die blutverschmierten Schuhe mitgebracht‹?«
»Maione, beruhigen Sie sich und hören Sie mir zu«, und er nahm zum Aufzählen seine Finger zu Hilfe, »das Mädchen hat nicht gesehen, wie der Professor die Calise getötet hat; es hat ihn noch nicht einmal explizit die Absicht äußern hören, sie zu töten. Des Weiteren liegt uns keinerlei Geständnis vor, stattdessen haben wir sogar ein Alibi: Die Serras waren an jenem Abend bei niemand Geringerem als Seiner Exzellenz, dem Präfekten, zum Abendessen. Und schließlich sind zwei schmutzige Schuhe noch lange kein Beweis für ein Verbrechen. Es könnte auch das Blut eines toten Hundes sein, falls es überhaupt Blut ist.«
Ricciardi nickte.
»Da haben Sie sicher recht, Dottore, aber Sie werden zugeben müssen, dass Serra sowohl ein Motiv hatte, das wir leicht anhand weiterer Zeugenaussagen der übrigen Hausangestellten überprüfen können, als auch die Gelegenheit, da die Calise Doktor Modos Aussage zufolge nach zehn Uhr abends getötet wurde, das heißt zu einer Zeit, als das Essen beim Präfekten bereits lange zu Ende war. Dann wäre da noch seine Reserviertheit während der Befragung ...«
Garzo schnaubte missmutig.
»Das ist nun wieder Ihre Interpretation, Ricciardi. Wir dürfen nicht vergessen, dass es sich um eine Person handelt, die es ganz sicher nicht gewohnt ist, wie der erstbeste Verbrecher verhört zu werden. Die Position des Professors ist in meinen Augen kein bisschen schwächer als die von Iodice. Auf der einen Seite haben wir die Anschuldigungen eines Dienstmädchens und einen Wutausbruch, auf der anderen eine Schuld, die Iodice nicht zurückzahlen konnte, und einen Selbstmord, der einem Geständnis gleichkommt. Sind Sie sicher, dass das Gericht Serra schuldig sprechen würde?«
Maione stieß ein dumpfes Knurren aus, wie ein Löwe im Käfig. Ricciardi hingegen dachte über Garzos Argumentation nach, die in sich logisch war. Er brauchte Zeit: Er war überzeugt, dass von Iodice und Serra di Arpaja Letzterer der wahrscheinlichere Mörder war, aber so wie die Dinge standen, war die Lösung nicht eindeutig.
»Wie möchten Sie jetzt also vorgehen?«
Ganz wie der Kommissar es vorausgesehen hatte, wurde Garzo schon wieder kreidebleich.
»Ich? Was habe ich damit zu tun? Sie leiten doch die Ermittlungen, oder? Sagen Sie mir, was Sie zu tun beabsichtigen.«
Schach matt, dachte Ricciardi.
»Richtig, Dottore, sehr wahr. Also, ich denke, wir sollten weiter ermitteln: Die Aussage von Teresa Scognamiglio muss überprüft und durch die Informationen, die wir bereits besitzen, ergänzt werden. Ein paar Tage bräuchten wir noch, um klar durchzublicken und sicherzustellen, dass das Präsidium sich nicht blamiert.«
Garzo trommelte kurz mit den Fingern auf den Schreibtisch.
»Na gut, Ricciardi. Ich gebe Ihnen noch einen Tag, beziehungsweise zwei, da es ja noch früh am Morgen ist. Aber bis morgen Abend möchte ich eine Anklage haben; die Presse übt bereits Druck auf den Präsidenten aus, der darauf, wie Sie wissen, allergisch reagiert.«
Ricciardi nickte und verließ, gefolgt von einem missgelaunten Maione, das Zimmer.
Filomena schloss die Läden des einzigen Fensters ihrer Wohnung: Ein schwaches Licht drang durch den Spalt über der Tür. Sie setzte sich an den Tisch, lächelte den beiden zu, die bei ihr waren, und nahm mit ruhiger Hand langsam den Verband ab.
Gaetano sog Luft ein und stöhnte leise, Tränen liefen ihm übers Gesicht. Rituccia, deren Blässe in der Dunkelheit
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