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Der Fruehling des Commissario Ricciardi

Der Fruehling des Commissario Ricciardi

Titel: Der Fruehling des Commissario Ricciardi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maurizio de Giovanni
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Glasfront hindurch das Durcheinander von Reifen, Hufen und Füßen, die sich munter auf dem Kopfsteinpflaster der Via Chiaia bewegten. Der Frühling bescherte der Stadt einen wunderschönen Morgen: Das Licht schien regelrecht von der Erde auszugehen, der Himmel strahlte so blau, dass es in denAugen weh tat, und die Frauen schienen zu einer Musik zu tanzen, die nur sie hörten. Männer lächelten und zogen ihre Hüte, Soldaten spazierten jeweils zu zweit umher und schickten den jungen Frauen Kusshände, die daraufhin kichernd ihre Schritte beschleunigten. Neben einem am Boden ausgestreckten Bettler sah Ricciardi ein Kind, das auf der Höhe des Beckens unübersehbar von einem Wagenrad verletzt worden war: Es spuckte Blut und die obere Hälfte seines Körpers passte irgendwie nicht richtig zu der unteren – wie ein Bild, das man in einem Zerrspiegel oder durch eine nasse Scheibe hindurch sah. Auf der anderen Seite des breiten Schaufensters hörte Ricciardi die Stimme des Jungen: » Mein Hündchen ist weg. « Müde fragte er sich, wo das Hündchen wohl hingelaufen sein mochte und ob es ein anderes Herrchen gefunden hatte.
    »Commissario Ricciardi, wenn ich mich nicht irre.«
    Emmas sinnliche Stimme rief ihn in die Gegenwart zurück. Er stand auf und rückte den zweiten Stuhl zurecht, damit Emma Platz nehmen konnte.
    Der Unterschied zwischen der devoten und zurückhaltenden Person, die er vor kurzem befragt hatte, und der selbstsicheren Dame, die ihn jetzt mit unverhohlener Neugier, amüsiert und herausfordernd ansah, war frappierend. Ricciardi fragte sich, ob es wohl der Einfluss ihres Mannes sei, der Emmas Temperament derart zum Schweigen brachte, oder ob sie Maione und ihm bloß eine Rolle vorgespielt hatte; fest stand, überlegte er, dass er gerade die wahre Emma vor sich hatte.
    Er fragte sie, was sie trinken wolle, sie antwortete »Weißwein«. Am frühen Morgen, dachte er. Für sich bestellte er wie üblich einen Kaffee und eine Sfogliatella.
    Die Frau lachte. Es war ein kurzes, helles Lachen.
    »Sie haben wohl keine Angst zuzunehmen, was, Commissario? Eine Sfogliatella so früh am Morgen, du lieber Himmel!«
    »Und Sie, haben Sie keine Angst, sich am frühen Morgen zu betrinken?«
    Es war ihm bewusst, dass seine Worte ungezogen und provozierend waren. Er wollte klarstellen, dass er sich ihr keinesfalls unterlegen fühlte, und eine Bestätigung dafür, dass die Signora dem Alkohol zugetan war, wie es Teresa erzählt hatte.
    Das saß: Emma wurde blass, errötete dann und schickte sich an aufzustehen. Ricciardi streckte nicht die Hand aus, um sie zurückzuhalten.
    »Wenn Sie jetzt gehen, werde ich mich berechtigt fühlen, ihrem Schmerz keine Beachtung zu schenken.«
    Die Frau setzte sich mit weit aufgerissenen Augen wieder hin.
    »Welcher Schmerz? Ich weiß nicht, wovon Sie sprechen.«
    Ricciardi schüttelte den Kopf.
    »Signora, wir beide wissen, dass das, was Sie gestern ausgesagt haben, nicht wahr ist: Niemand sucht zwanghaft einen Ort auf, ohne einen sehr wichtigen Grund dafür zu haben. So wichtig, dass er bereit ist, dafür gegen die ganze Welt zu kämpfen; und doch haben sie gestern nicht gekämpft. Sie haben bloß die Lektion aufgesagt, die man ihnen beigebracht hatte. Ich habe Ihnen keinen Augenblick lang geglaubt. Bevor ich Sie um die Wahrheit bitte, möchte ich also zuerst wissen, warum Sie gelogen haben.«
    Emma sah Ricciardi an und schüttelte den Kopf. Mit den Händen umklammerte sie die Armlehnen des Stuhls so fest, dass ihre Knöchel wachsbleich waren.
    »Ich ... ich wollte herausfinden, warum Sie bei mir waren. Ausgerechnet bei mir. Zur Calise gingen Dutzende. Ich allein habe sie an wohl zwanzig Freundinnen weiterempfohlen. Warum sind Sie zu mir gekommen?«
    Ricciardi wollte seine Karten nicht gleich auf den Tisch legen und ihr sagen, dass ihr Name bloß am letzten Tag von Carmela Calises Terminkalender auftauchte. Stattdessen setzte er alles auf eine Karte.
    »Warum decken Sie Ihren Mann, wenn Sie ihn nicht mehr lieben?«
    Emma riss die Augen weit auf und begann dann zu lachen. Zunächst nur leise, überrascht, dann immer lauter, bis sie zuletzt sogar den Kopf nach hinten bog und ihr Tränen über die Wangen kullerten. Ricciardi beobachtete sie und wartete ab, ohne etwas zu sagen. Hier und da drehten sich Leute von den anderen Tischen verwundert zu ihnen um; man fragte sich, was jener finster dreinblickende Mann wohl so Lustiges zu der schönen und eleganten Dame gesagt haben mochte. Schließlich

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