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Der Fruehling des Commissario Ricciardi

Der Fruehling des Commissario Ricciardi

Titel: Der Fruehling des Commissario Ricciardi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maurizio de Giovanni
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verheiratet war, noch dazu mit der Tochter des Stadtteilbosses der Quartieri Spagnoli, ganz sicher nicht der Fall. Hätte er so etwas getan, wäre es einer Selbsthinrichtung gleichgekommen.
    Also fiel er schon mal weg. Wer aber war es dann gewesen?
    Der Händler käme in Frage. Von seinem Unterschlupf aus beobachtete Maione ihn in dem erleuchteten Geschäft; er war klein, beleibt, weibisch, von Zeit zu Zeit sah manihn dümmlich lächelnd um die Kundinnen herumtänzeln. So jemand war nicht einmal Manns genug, sich alleine zu rasieren, geschweige denn eine Frau zu entstellen.
    Maione wartete geduldig, bis der Laden über die Mittagszeit schließen würde. Filomena verabschiedete sich von De Rosa, der nicht einmal von der Kasse aufsah. Der Brigadiere hatte sogar von weitem den Eindruck, dass ihm ihr Handicap unangenehm sei.
    Der Stoffhändler fiel also auch weg.
    Wer dann?

    Emma sah zur Glasscheibe hinaus, als ob das bunte Treiben der Fußgänger, Autos und Kutschen ihren Blick gefangen halten würde. Das tote Kind teilte Ricciardi erneut die Flucht seines Welpen mit. In dem Café herrschte ein unbestimmtes Stimmengewirr, aus dem zweiten Raum erklang Klaviermusik, die von einem vergangenen Mai, Rosen und Kirschen kündete.
    Die Erwähnung der Schwangerschaft hatte dem Kommissar eine ganz neue Sachlage eröffnet. Das war etwas Unwiderrufliches, etwas, das Männer und Frauen zu unüberlegten Handlungen veranlassen konnte.
    »Wem haben Sie es sonst noch gesagt?«
    Emma lächelte traurig.
    »Nur ihm. Und natürlich der Calise. Als ich zum vorletzten Mal bei ihr war. Ein einziges Mal habe ich ihr die Zukunft vorausgesagt.«
    »Warum haben Sie das getan?«
    »Weil sie mir sagen sollte, was zu tun wäre. Ich ... entschied nichts ohne ihre Erlaubnis. Es grenzte an Wahnsinn, ich hatte keine andere Wahl. Es mag Ihnen absurdvorkommen, Commissario, aber ich war von dieser Sache regelrecht besessen. Ich versuchte, dagegen anzukämpfen, mich zu der Überzeugung zu zwingen, dass ich die Frau nicht brauchte. Doch dann drängte mich eine unsichtbare Hand wieder zu ihr, in dieses stinkende Loch, um ihre Befehle zu erbetteln. Ohne sie wusste ich nicht mehr, wie ich leben sollte. Vielleicht habe ich auch nie richtig gelebt: Erst bestimmte meine Mutter, dann mein Mann und schließlich die Wahrsagerin.«
    Ricciardi hörte ihr sehr aufmerksam zu, er verschlang jedes Wort.
    »Und was sagte sie Ihnen, als Sie ihr eröffneten, dass Sie schwanger sind?«
    Emma fuhr sich nervös mit der Hand durch die Haare.
    »Sie fragte mich, wer der Vater sei. Ich verstand nicht: Wie konnte sie das nicht wissen? Wo sie doch von jedem alles wusste? Sie wusste, dass zwischen mir und meinem Mann schon lange nichts mehr läuft. Dass es für mich nur einen Mann gibt. Den Mann, den sie mir verboten hat.«
    Der Kommissar beugte sich zu ihr vor.
    »Verboten?«
    Emma begann zu weinen, während sie sprach.
    »Ich lernte diesen Mann und die Calise zur selben Zeit kennen. Und sie hat mich, obwohl sie ihn nie gesehen hat, dazu gebracht, ihn kennenzulernen, zu schätzen, mich in ihn zu verlieben. Unsere Liebe ist immer stärker geworden, bis sie schließlich mein ganzes Leben ausfüllte. Waren Sie schon einmal verliebt, Commissario?«
    Ricciardi sah im Geiste zwei verschlossene Fensterläden vor sich und spürte in seinem Herzen einen stechenden Schmerz. Er zuckte ein einziges Mal mit den Augenlidern.
    »Fahren Sie fort.«
    »Ich wollte mit ihm weggehen. Alles war vorbereitet, das Geld, unser weiteres Leben, alles. Ich bin sehr reich, Commissario. Und zwar unabhängig von meinem Mann. Ich hatte schon alles geregelt, als ich plötzlich erfuhr, dass ich schwanger bin. Sie können sich nicht vorstellen, wie glücklich ich war! Ein Kind zu haben – ich hatte ja schon gar nicht mehr damit gerechnet. Ein aus Liebe geborenes Kind auch noch, und es würde sicher so schön wie sein Vater werden. Also eilte ich zur Calise, sie sollte die Erste sein, die es erfährt. Stattdessen ...«
    »Stattdessen?«
    »Die Karten waren eindeutig: Ich würde ihn nie wiedersehen. Wie immer durfte ich auf gar keinen Fall irgendjemandem anvertrauen, was sie mir sagte. Es war das oberste Gebot. Andernfalls hätte mich, ihn und das Kind das allerschlimmste Unglück getroffen. Ich ließ sie die Karten x-mal legen, immer wieder. Ich habe sie angefleht, verwünscht, ihr gedroht: nichts. Sie sagte, dass man den Karten nicht befehlen könne, es sei nun mal Schicksal, das, was die Seelen der Toten beschlossen

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