Der Frühling - Hyddenworld ; 1
nach einem Weg, wie du …«
»Was?« Jetzt war er ungeduldig. »Ich habe keine Ahnung, worauf du hinauswillst, Katherine.«
Sie standen auf und sahen einander an.
Noch nie hatte sie sich ihm so fern gefühlt, noch nie so große Angst gehabt, ihn zu verlieren.
»Versucht du, Lebwohl zu sagen?«, fragte sie schließlich.
Er sah sie entgeistert an und trat näher. »Lebwohl?«, fragte er. »Nein!«
»Was willst du dann sagen?«
Der Fluss regte sich im Dämmerlicht, wälzte sich vorüber, dunkel, kalt, tief.
»Ich versuche, Hallo zu sagen. Ich versuche, dir zu sagen … na ja … Was auch immer da drüben ist, ich möchte nicht ohne dich übers Wasser zurück. Ich versuche, dir zu sagen, dass ich dich liebe und …« Sie legte ihm einen Finger auf die Lippen, wie sie es schon einmal auf der Themse-Brücke getan hatte. »Sag nicht mehr, als du eben gesagt hast, Jack.«
»Ich liebe dich, Katherine.«
»Ich möchte mir dir über den Fluss gehen«, erwiderte sie. »Nur mit dir, denn ich liebe dich auch. Und …«
Er küsste sie, um sie am Weitersprechen zu hindern. Worte waren nicht nötig.
Sie hielten einander fest in den Armen, bis wenig später Stort erschien, sich in der Nähe hinsetzte und wartete. Der Fährmann spielte seine Musik.
Der Severn zog weiter vorüber, Grenze und Mittler zugleich, das große Unbekannte unter der Oberfläche. Das ferne Ufer schien auf einmal gar nicht mehr fern.
»Mister Barklice und ich sind aus der Liebe nicht schlau geworden«, sagte Stort zu niemand Bestimmtem.
»Wir auch nicht«, sagte Katherine und löste sich aus Jacks Umarmung, »aber man weiß, wenn man sie gefunden hat!«
Mit jeder Wunde, die verheilte, mit jeder Narbe, die nicht wieder aufbrach, fiel es ihnen leichter, einander zu sagen, was sie wirklich dachten. Und eigenartigerweise hatte auch Stort daran seinen Anteil, als Freund und guter Kamerad für sie beide in diesen trägen Herbsttagen.
»Unser Leben lang haben uns andere gesagt, wer wir sind und wie wir sein sollen«, sagte Jack, »aber nun müssen wir selbst herausfinden, wer wir sein wollen.«
Die ersten wirklichen Zärtlichkeiten, die sie in Mister Kiplings Haus ausgetauscht hatten, öffneten die Türen zu weiteren. Sie waren nicht unschuldig, aber sie waren auch nicht viel mehr, damals noch nicht. Alles ging langsam. So langsam wie der Fluss. Mal schlief er in ihren Armen, mal sie in seinen. Sie hatten keine Eile, an ein Ziel zu gelangen, von dem sie wussten, dass sie ihm gemeinsam zustrebten. Es war leichter, sich wie im Fluss vom Strom dorthin treiben zu lassen, wohin sie gehen würden, wenn die Zeit dafür reif war.
Eines Nachmittags saß Jack allein am Ufer, als er auf der anderen Seite des Flusses ein Klatschen und einen Schrei hörte. Er spähte über das Wasser und sah, wie der Kopf des Fährjungen auf den Wellen tanzte und sich von der Fähre entfernte. Die Strömung war stark, und der Junge würde ertrinken.
Jack zögerte nicht.
Er sprang in sein Boot, machte die Leine los und jagte über das Wasser, wie Arnold Mallarchi es ihm beigebracht hatte. Wie der Bolzen einer Armbrust flog er über die Wellen, ohne den Kopf des Jungenauch nur eine Sekunde aus den Augen zu lassen. Wenigstens konnte er schwimmen, was bei Fährleuten nicht häufig der Fall war.
Der Schrei war kaum verklungen, schon war er zur Stelle, zog den Jungen an Bord, drehte das Boot in die Strömung, um leichter steuern zu können, und paddelte mit wilden, kräftigen Stößen zur Anlegestelle. Dort drehte er bei und hielt sich fest, während der Junge wohlbehalten aufs trockene Land gehoben wurde.
»Er ist alles, was ich habe«, sagte der Fährmann ernst. »Wir kann ich Ihnen das vergelten?«
Jack stand in dem bockenden Boot, das Wasser weit unter den Planken. Der Junge schluchzte, und der Bilgener wollte sich erkenntlich zeigen, was nur verständlich war.
»Lehren Sie mich, auf dem Rohrhorn zu spielen«, sagte Jack, ohne zu überlegen.
Lehren Sie mich, die Welt zu retten.
Und das tat der Fährmann an den folgenden Abenden. Er brachte ihm richtige Bilgener-Musik bei, für die Jack, wie er feststellte, ein Ohr hatte.
85
ABSCHIED
I n Wardine war es Brauch, zu Lammas ein Freudenfeuer zu entzünden, was die Bewohner ein oder zwei Wochen nach dem 1. August taten. Vor den eigentlichen Festlichkeiten ruhten sie sich gern ein paar Tage aus, genossen die Fülle des Sommers, wenn das Laub zartere Farbtöne annahm und der Fluss noch träger wurde, und trafen die
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